Molekularer Fingerabdruck in Echtzeit


Wurde zu umfangreich oder zu wenig operiert? Diese Frage wird bei der Behandlung von Hirntumoren oft erst Tage später beantwortet. Mit Hilfe eines neuen Sequenzierungsverfahrens könnte es künftig schon im OP entscheidende Hinweise geben.


Text: Uwe Groenewold, Fotos: Axel Kirchhof

Bisher wussten Operateur:innen erst Tage nach dem Eingriff, ob es richtig gewesen ist, den Tumor vollständig zu entfernen, oder ob eine Biopsie gereicht hätte – nämlich dann, wenn die feingeweblichen und molekularen Analysen im Labor abgeschlossen waren. „Während der Operation musste anhand von Bildern und einem Schnellschnitt-Gewebetest, bei der im OP entnommenes Gewebe innerhalb weniger Minuten von Patholog:innen aufbereitet und bewertet wird, über das weitere Vorgehen entschieden werden“, erklärt Prof. Dr. Franz L. Ricklefs, Klinik für Neurochirurgie. Oft stellte sich der Befund im Nachhinein als unvollständig heraus: Manche Patient:innen benötigten einen zweiten Eingriff, bei anderen wäre eine weniger radikale erste OP ausreichend gewesen.

Mit der neuen Methode – entwickelt von Forschenden aus dem UKE und Kolleg:innen aus Erlangen – stehen genetische Informationen des Tumors innerhalb von Minuten zur Verfügung. Ärztin oder Arzt kann sofort entscheiden, wie weitreichend der Tumor entfernt werden muss – „ein maßgeschneiderter Ansatz, der einen molekularen Fingerabdruck des Tumors bereits im OP liefert“, so Ricklefs.

Zitat Prof. Dr. Franz L. Ricklefs
Zitat Prof. Dr. Franz L. Ricklefs
Zitat Prof. Dr. Franz L. Ricklefs
Nanopore-Diagnostik Neurochirurgie
Das nur etwa handtellergroße Analysegerät liefert umgehend Daten

Basis des Verfahrens ist die Nanopore-Sequenzierung. Dabei handelt es sich um eine ultraschnelle Form der Genomentschlüsselung, bei der DNA-Stränge durch winzige Poren geführt und elektrisch ausgelesen werden. Die Analyse findet praktisch in Echtzeit statt: Sobald die DNA des Tumorgewebes eingeführt wird, strömen Daten heraus. Die dafür benötigten Geräte sind nur etwa handtellergroß und können direkt im OP eingesetzt werden.

In ersten Tests an Tumorproben stellte das System in 45 von 50 Fällen innerhalb von 40 Minuten die richtige Diagnose. Anschließend wurde die Technik in 25 echten Hirntumor-Operationen erprobt. Bei 18 Patient:innen stimmte die schnelle molekulare Diagnose mit dem endgültigen, herkömmlich erzielten Ergebnis überein. In den übrigen 7 Fällen gab der Algorithmus kein vorschnelles Resultat aus, wenn die Datenlage unsicher war – Falschdiagnosen traten in der Studie nicht auf. „Diese Zurückhaltung zeigt, dass die Methode auf Genauigkeit und Sicherheit ausgelegt ist, was für uns in der neurochirurgischen Klinik natürlich oberste Priorität hat“, sagt Priv.-Doz. Dr. Lasse Dührsen, kommissarischer Klinikleiter.

Fazit des Studienteams: Der maschinelle Sofort-Befund könnte die neurochirurgische Entscheidungsfindung wesentlich unterstützen und die Behandlung von Hirntumor-Patient:innen sicherer und schonender machen, so Prof. Ricklefs. In weiteren klinischen Studien soll die Methode nun validiert und für den Routineeinsatz vorbereitet werden.

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zur Forschung in der Klinik für Neurochirurgie finden Sie unter uke.de/neuroforschung