„Mir hilft nur noch ein neues Herz"
Wie kann es sein, dass ein grippaler Infekt so dramatisch ausgeht und die Zukunft einer jungen, glücklichen Familie aufs Spiel setzt? Sandra Leisten wünscht sich die Kraft durchzuhalten. „Für meinen Sohn. Für meinen Mann. Für uns.“
Herbst ist Schnupfenzeit, ein Infekt jagt den nächsten. Die Eltern von Kita-Kindern bekommen auch oft eine Virenladung ab. Im Herbst 2023 trifft es Sandra Leisten „nicht schlimm, aber mehrmals, und mit Fieber. Das kannte ich so nicht.“ Die junge Mutter wird krankgeschrieben; der Hausarzt verordnet Antibiotika. Sie kann nach kurzer Zeit ihre Arbeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin wieder aufnehmen. Aber der Husten hält sich hartnäckig, das Fieber kehrt zurück – und steigt. Mit 40 Grad und hohem Puls wird sie vom Hausarzt in ein Hamburger Krankenhaus eingewiesen. Dort stellt man eine Lungenentzündung und eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) fest. Nach wenigen Tagen wird sie entlassen „Schonen Sie sich, gehen Sie nicht zur Arbeit, machen Sie keinen Sport“, raten die Ärzte.
Körperliche Schonung gilt als wichtigste Maßnahme bei einer Herzmuskelentzündung, ist aber nicht leicht umzusetzen, wenn der Sohn erst 18 Monate alt ist, noch viel auf dem Arm getragen wird und 30 Treppenstufen zur Wohnung führen. Sandra Leisten ist nun regelmäßig zur Kontrolle beim Kardiologen und versucht, sich zu schonen. Vor Ansteckung schützt das nicht, in den folgenden Wochen kommt es zu weiteren Infekten. Die 39-Jährige muss erneut Antibiotika nehmen, außerdem ist der Puls viel zu hoch. „Mein Herz hatte sich nicht erholt, im Gegenteil.“ Sie ist jetzt schnell aus der Puste, hat Schmerzen beim Atmen und Husten infolge der Lungenentzündung – und Herzschmerzen: „ein brennender und stechender Schmerz hinter dem Brustbein, den ich nur schwer beschreiben kann.“
Herzfunktion verschlechtert sich
Die Kontrolluntersuchung beim Kardiologen wenige Tage vor Weihnachten zeigt, dass sich ihre Herzfunktion weiter verschlechtert hat. Der Facharzt zieht die Reißleine, er überweist sie ins UKE. Sandra Leisten ist nicht gleich überzeugt, sie argumentiert: So kurz vor Weihnachten passiere doch nicht viel im Krankenhaus, die Feiertage könne sie besser zu Hause mit ihrer Familie verbringen. Außerdem sei schon alles dafür eingekauft. Der Kardiologe bleibt unbeeindruckt: „Sie müssen überwacht werden.
Im UKE erhält sie zunächst eine Cortisontherapie, sie fühlt sich besser und ist zuversichtlich, schnell wieder nach Hause zu kommen. Doch dann hat sie zunehmend Atemnot und Kreislaufbeschwerden. In der vorletzten Nacht des Jahres wird ihr Zustand kritisch, „ich erhielt immer mehr Schläuche zur Überwachung und für Medikamente zur Kreislaufunterstützung. Da kam die Angst: Oh Gott, in welche Richtung geht das hier jetzt?“
„Zum ersten Mal Todesangst“
Am Silvestermorgen wird Sandra Leisten auf die Intensivstation verlegt, der Arzt erklärt ihr, dass man sie untersuchen und engmaschig überwachen wolle. „Ich war wieder ganz optimistisch gestimmt.“ Doch wenige Stunden später kippt die Situation: Sie hat extreme Herzrhythmusstörungen. „Immer mehr Menschen waren an meinem Bett, ich hörte sie von ‚ECMO‘ und ‚Impella‘ sprechen und wusste, das sind Herzunterstützungssysteme. Da hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben Todesangst.“
Die 39-Jährige ruft ihren Mann an, bittet ihn, gut auf den kleinen Sohn aufzupassen, und verabschiedet sich. Sie wisse nicht, ob es gut ausgeht für sie. An die folgenden zehn Tage erinnert sie sich nicht. Später wird sie erfahren, dass ihr Kreislauf zusammengebrochen war, kompletter Herzstillstand, Multiorganversagen. Dass Anfang Januar Eltern und Schwester kamen, um sich zu verabschieden. Doch Sandra Leisten überlebt die Krise dank modernster Herzchirurgie und Medizintechnik: ECMO, Nierenersatztherapie, Unterstützungssysteme für beide Herzkammern, die das Team um Herzchirurg Alexander Bernhardt nach Rücksprache mit Ehemann Stephan einsetzt.
Als sie das volle Bewusstsein wiedererlangt, trägt sie Kabel und Schläuche am und im Körper. Ihr erster Gedanke: „Ich lebe noch, ich habe eine zweite Chance bekommen!“ Und der nächste: „Nun hängt mein Leben an Schläuchen und Batterien.“ Im Januar 2024 stabilisiert sich ihr Zustand zunehmend und das Rechtsherzunterstützungssystem kann entfernt werden. Das Team der kardio-chirurgischen Intensivstation aus Ärzt:innen und Pflegefachpersonen hilft ihr in den folgenden Wochen wieder auf die Beine. Jeden Tag kämpft sie sich Stück für Stück ins Leben zurück. Im Mai kann auch die Linksherzunterstützung entfernt werden. Eine echte Erleichterung: „Die Bauchtasche mit dem Controller, die ich stets tragen musste, wog zweieinhalb Kilo.“
Auch die Seele war schwer belastet, „aber ich habe im UKE psychologische Unterstützung erhalten, das hat mir sehr geholfen.“ Besonders hilfreich war die Unterstützung durch VAD-Koordinator Christian Baier: Der Experte für Herzunterstützungssysteme (engl. Ventricular Assist Device, VAD) kümmerte sich um die Technik und erklärte sie der Patientin. „Ich konnte ihn jederzeit ansprechen. Er hat mich großartig betreut, das hat mir Sicherheit gegeben.“
Längst arbeitet Sandra Leisten wieder im Krankenhaus, nun im Büro. Sohn Fabian ist mittlerweile drei Jahre alt, gut gelaunt und „redet wie ein Wasserfall“, sagt seine Mutter. Sie bringt ihn jeden Morgen mit dem Rad zur Kita, fährt weiter zu ihrem Arbeitsplatz. Sie achtet darauf, dass sie täglich auf ihre 10.000 Schritte kommt und ist „glücklich, dass die Dinge sich so gut entwickelt haben.“ Doch die Leichtigkeit, mit der sie bisher durchs Leben ging, ist verschwunden. Dafür sorgte ein„heftiger Dämpfer“: Ihre rechte Herzkammer hat sich nicht so gut erholen können wie die linke. „Über kurz oder lang werde ich ein Spenderherz benötigen.“
Jetzt auf der Warteliste
Im Mai dieses Jahres wurde Sandra Leisten erneut umfassend im UKE untersucht. Neben der Leistung von Herz, Lunge und Nieren ging es unter anderem auch darum, mögliche bisher unentdeckte Erkrankungen wie etwa Krebstumoren aufzuspüren. Jetzt steht sie auf der Warteliste für eine Herztransplantation. Zudem wurde eine sogenannte HLA-Typisierung vorgenommen. HLA (Humane Leukozytenantigene) sind Oberflächenmoleküle auf weißen Blutzellen. Damit es nicht zur Abstoßung kommt, müssen diese Gewebemerkmale von Spender:in und Patient:in möglichst übereinstimmen.
„Ich hatte gehofft, mein Herz würde sich so gut erholen, dass eineTransplantation nicht mehr nötig wäre. Die Untersuchungswerte geben das aber leider nicht her.“ Sandra Leisten benötigt ein Transplantat, „das kann übermorgen sein oder in fünf Jahren.“ Für die Wartezeit wünscht sie sich vor allem „die Kraft, durchzuhalten und weiterhin positiv zu denken.“ Lange habe sie sich gesträubt, die neue Realität anzunehmen. „Aber ich habe keine Wahl: Die Transplantation ist mein Rettungsschirm, mir hilft nur noch ein neues Herz.“