Wenn das Klima krank macht
Schon jetzt hat das veränderte Klima vielfältige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Während die Forschung Tools entwickelt, um Klimafolgen besser einschätzen zu können, müssen Ärzt:innen in der Versorgung von Patient:innen auf Folgeerkrankungen reagieren.
Text: Katja Strube, Fotos: Axel Kirchhof, Anja Meyer
Kühlen Kopf im Klimawandel bewahren
Die Zeit, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen, drängt sehr: Einem internationalen Forschungsteam zufolge gab es allein in einer zehntägigen Hitzeperiode von Ende Juni bis Anfang Juli 2025 rund 2300 hitzebedingte Todesfälle in zwölf europäischen Großstädten wie London, Athen, Madrid, Mailand und Frankfurt. Zwei Drittel der Gesamtzahl der Toten, schätzen die Wissenschaftler:innen aus Großbritannien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz, gingen dabei auf das Konto des Klimawandels. Auch im Untersuchungszeitraum litten unter der Hitzewelle besonders verletzliche Gruppen wie Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen. Für Hamburg, so das Bundesumweltamt, sei in Zukunft noch mit einem weiteren Temperaturanstieg zu rechnen. „In der Medizin müssen wir auch in Krisensituationen einen kühlen Kopf bewahren“, betont Prof. Dr. Blanche Schwappach-Pignataro, Dekanin der Medizinischen Fakultät und UKE-Vorstandsmitglied. „Forschungsvorhaben an der Schnittstelle zwischen Gesundheit und Klima sind immens wichtig, um Patient:innen im Bedarfsfall exzellent versorgen zu können. Deshalb unterstützen wir unsere Wissenschaftler:innen dabei, sich zu engagieren. Ihre Ergebnisse kommen uns allen zugute.“
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Herausfordernde Patient:innenversorgung
Monatelange Dürren und Hitzeperioden, Extremwetterereignisse wie Starkregen oder Wirbelstürme, Flüsse, die entweder austrocknen oder Überschwemmungen verursachen: Der Klimawandel, das zeigt sich an der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, hat umfangreiche Folgen für die Menschheit und den gesamten Planeten. Auch in gemäßigteren Breitengraden wie in Deutschland sind die Auswirkungen zunehmend spürbar. Das Jahr 2024 war das wärmste seit Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen 1881. „In der hausärztlichen Versorgung haben wir zunehmend mit den klimawandelbedingten Folgen für die Gesundheit unserer Patient:innen zu tun – wie beispielsweise den Folgen von Hitzewellen, der Zunahme von Allergien oder auch von psychischen Problemen“, sagt Dr. Claudia Mews, Fachärztin für Allgemeinmedizin im UKE. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Heike Hansen hat sie in Kooperation mit dem Institut für Allgemeinmedizin der Universität Würzburg und weiteren assoziierten Partner:innen einen „Leitfaden zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für die hausärztliche Praxis“ verfasst. Er soll bei den zunehmenden Herausforderungen für die hausärztliche Versorgung durch die globalen Umweltveränderungen Hausärzt:innen Wissen vermitteln, Handlungstipps zur Verfügung stellen und sie für die klimasensible Gesundheitsberatung sensibilisieren.
Leitfaden für Hausärzt:innen
Im Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekts „Entwicklung eines Leitfadens zur klimasensiblen Gesundheitsberatung für hausärztliche Praxen“ (ELKGE) wurde der erste deutsche Leitfaden zu diesem Thema erarbeitet und 2024 kostenlos online zur Verfügung gestellt. Auf 117 Seiten finden sich Hintergründe, Tipps und Fallbeispiele zum Umgang mit Folgen des veränderten Klimas für die hausärztlichen Praxen.
Der Leitfaden kann hier direkt heruntergeladen werden.
Klima-Auswirkungen auf Babys im Mutterleib
Darauf, dass anhaltende Hitze bereits ungeborene Babys unter Stress setzt und das Risiko für Frühgeburten signifikant steigert, macht Prof. Dr. Petra Arck, Forschungsdekanin des UKE und Leiterin des Labors für Experimentelle Feto-Maternale Medizin in der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, bereits seit mehreren Jahren aufmerksam. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Prof. Dr. Anke Diemert widmet sie sich in der Langzeitstudie PRINCE (Prenatal Identification of Children’s Health) seit 2011 der Frage, welche Folgen Ereignisse, die auf die werdende Mutter einwirken, auf die Gesundheit des Kindes haben.
Aktuell untersuchen die Wissenschaftlerinnen die Konsequenzen des Klimawandels auf die Gesundheit von Schwangeren und Neugeborenen. Hierbei liegt ein Augenmerk auf der veränderten Vielfalt von Infektionserregern, denen Schwangere ausgesetzt sind. „Der globale Temperaturanstieg und die zunehmenden Niederschläge führen zu einer Verbreitung von Krankheitsüberträgern wie Stechmücken, Wanzen und Zecken in nördlichere Breitengrade“, erläutert Prof. Arck. „Bei solchen Krankheiten wie West-Nil- und Dengue- Fieber, aber auch Malaria und anderen Infektionen zeigen Schwangere meist einen besonders schweren Verlauf. Das liegt unter anderem daran, dass die Immunantwort während der Schwangerschaft verändert ist.“
Auch um Gefahren wie diesen entgegenzutreten, sind die Wissenschaftlerinnen seit Kurzem Partner im EU-geförderten Netzwerk „Just Safe (HORIZON Innovation Actions)“. Das Ziel: Strategien zur Verbesserung der Klimaresilienz für besonders stark gefährdete Gruppen wie ältere Menschen, Kinder und schwangere Frauen umzusetzen.
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Handlungsempfehlungen für Schwangere bei Hitzeperioden gibt´s unter uke.de/hitze
Gesundheitsvorsorge durch individualisierte Wetterwarnungen
Machine Learning-Methoden wendet die BMFTR-geförderte Nachwuchsgruppe „HeWeCon“ (HeWeCon steht dabei für „Health Effects of Weather Conditions“) im UKE an, um das Gesundheitsrisiko der Allgemeinbevölkerung und insbesondere vulnerabler Gruppen wie Kindern, älteren Personen sowie Menschen mit Vorerkrankungen bei Extremwetterereignissen einschätzen zu können. „Wir führen dabei Informationen aus anonymisierten Krankenkassendaten, etwa Geschlecht, Alter, Pflegebedürftigkeit sowie Vorerkrankungen, mit Wetterdaten zusammen“, erläutert die Projektverantwortliche Dr. Claudia Konnopka.
Darauf aufbauend soll ein Vorhersage-Tool entwickelt werden, das als individualisierbares Wetterwarnsystem dienen kann und eine gezielte Ansprache von Risikogruppen zur Prävention wetterbedingter Erkrankungen ermöglicht. Gleichzeitig sollen mit dem Tool Vorhersagen dazu möglich sein, welche Fallzahlen je nach Wetter zum Beispiel in der Notfallversorgung zu erwarten sind, um zukünftig Ressourcen noch stärker anlassbezogen planen zu können. In der Nachwuchsgruppe sollen zudem die Kosten für die Gesundheitsversorgung bei Extremwetterereignissen abgeschätzt werden. „Durch die zusätzliche gesundheitsökonomische Perspektive können dringend notwendige Maßnahmen zur Klimaanpassung weiter motiviert werden“, so Dr. Konnopka.
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Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) fördert das Projekt: uke.de/wetter.
Aus der Ahrtal-Katastrophe lernen
Im Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) untersuchten Forscher:innen um Priv.-Doz. Dr. Jobst Augustin die gesundheitlichen Auswirkungen des Ahrtal-Hochwassers des Jahres 2021 für die lokale Bevölkerung. Dafür nutzten sie anonymisierte Krankenkassen-Abrechnungsdaten. Hier zeigte sich den Wissenschaftler:innen in einigen Diagnosegruppen, etwa bei Verletzungen sowie bei psychischen Störungen, eine deutliche Zunahme gegenüber Vergleichszeitraum und -region. „Bei solchen Katastrophenereignissen müssen neben den sofortigen Auswirkungen wie Todesfällen durch Ertrinken und Unterkühlung sowie mittelbaren wie infizierten Wunden und Vergiftungen durch Schadstoffe im Wasser auch die langfristigen Folgen in den Blick genommen werden“, so Dr. Augustin.
Neben chronischen Krankheiten und Behinderungen wurden vor allem die mentale Gesundheit der lokalen Bevölkerung und die Gesundheitsversorgung insgesamt vom Hochwasser beeinträchtigt. „Da Hochwasserereignisse zukünftig häufiger und stärker werden können, müssen die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und Gesundheitsinfrastruktur angepasst werden.“
Big Data zur Katastrophenprävention
Dem Zusammenhang von thermischen Belastungen und mit Hitze assoziierten Erkrankungen kamen Wissenschaftler:innen im UKE um Priv.-Doz. Dr. Jobst Augustin auf Basis anonymisierter Abrechnungsdaten der Betriebskrankenkassen weiter auf die Spur. Mit diesem Vorgehen konnten sie belegen, dass eine höhere thermische Belastung mit mehr hitzeassoziierten Diagnosen wie etwa Hitzschlag einhergeht. Nun wollen die Forscher:innen, gefördert vom Innovationsfonds, ein multidimensionales Instrument entwickeln, um die Wirkung von Hitze auf die Gesundheit vulnerabler Bevölkerungsgruppen präziser abschätzen zu können.
Ein neues Zentrum in Costa Rica
Welche Einflüsse Temperatur, Licht oder Feuchtigkeit auf Infektionserreger und Krankheitsüberträger haben und was passiert, wenn sich diese Umweltfaktoren ändern und vermehrt Extremwetterereignisse eintreten, diesen drängenden Fragen widmet sich zukünftig eine neue Forschungseinrichtung in Costa Rica. Das Hamburger Bernhard- Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM), mit dem das UKE eng kooperiert, eröffnet gemeinsam mit dem Instituto Costarricense de Investigación y Educación en Nutrición y Salud sowie dem costaricanischen Wetterinstitut das Deutsch-Costaricanische Zentrum für Klimaanpassung und Infektionskrankheiten (GC-ADAPT).
„Die Kombination aus der überschaubaren Landesgröße von Costa Rica mit einem leistungsfähigen System zur Krankheitsdokumentation ermöglicht es, die Zusammenhänge zwischen veränderten Wettermustern, der Dynamik von Infektionskrankheiten und ihrer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit zu untersuchen“, erklärt Dr. Andrea Molina Alvarado aus der Abteilung Infektionsepidemiologie am BNITM. Unter ihrer Leitung werden in den kommenden Jahren, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, unter anderem Übertragungswege bakterieller Infektionen durch Tiere oder Lebensmittel erforscht.
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Weitere Neuigkeiten zu dem neuen Zentrum gibt es hier .
Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen für chronisch Erkrankte
Wie Menschen mit chronischen Erkrankungen, für die Hitzeperioden erhöhte Risiken mit sich bringen, sich vor gefährlichen Folgen für ihre Gesundheit schützen können, untersucht derzeit Priv.-Doz. Dr. Ingmar Schäfer vom Institut für Allgemeinmedizin des UKE in Kooperation mit den Instituten für Allgemeinmedizin in Bozen und Rostock. Die Kooperation mit den Kolleg:innen in Südtirol entstand durch die Suche der Hamburger Forschenden nach einem Studienpartner in einer wärmeren Region außerhalb Deutschlands.
Drei Monate lang wurden bei der Studie „CLIMATE“ die Beschwerden von Patient:innen, die etwa an chronischer Herzinsuffizienz, Asthma oder Diabetes mellitus erkrankt sind, während besonders heißer Tage erfasst. Mögliche Hitzefolgen für Risikopatient:innen umfassen Schwindel, Kopfschmerzen oder Muskelkrämpfe, in extremen Fällen können die hohen Außentemperaturen aber auch zu Atemnot oder Bewusstseinsverlust führen. „Wir wollen mehr darüber herausfinden, wie die von chronisch erkrankten Patient:innen ergriffenen Schutzmaßnahmen sich auf hitzebedingte Beschwerden auswirken“, so Dr. Schäfer.
Die Ergebnisse der Untersuchung, so die Wissenschaftler:innen, können Hausärzt:innen dabei helfen, chronisch Kranke in Hitzeperioden besser zu betreuen, indem mehr Wissen über den Nutzen von Schutzverhalten, wie zum Beispiel spezifische Kühlungsstrategien oder das Vermeiden von körperlichen Aktivitäten, bereitgestellt wird.
CLIMATE-Studie
CLIMATE steht für „Chronical illness-related LIMitations of the Ability to cope with rising TEmperatures“– durch chronische Krankheiten bedingte Einschränkungen bei der Bewältigung steigender Temperaturen. CLIMATE hat zum Ziel, mögliche Schutzmaßnahmen für stark gefährdete Patient:innen zu entwickeln.
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Viele Infos rund um die Studie gibt es unter uke.de/climate .
Vertrauenssache Kommunikation
Medizinischem Personal wird in Deutschland großes Vertrauen entgegengebracht. Könnte diese Nähe zu Patient:innen ein Schlüssel sein, um Themen rund um Klima und Gesundheit alltagsnah zu vermitteln? Wie werden solche Gespräche aufgenommen? Inwieweit werden sie gewünscht und akzeptiert – oder stoßen sie möglicherweise auch auf Ablehnung? Diesen Fragen widmet sich das Projekt CliMed – Klima- und Gesundheitskommunikation durch medizinisches Personal. Im Zentrum steht die Untersuchung, wie offen Menschen in Deutschland für klimagesunde Empfehlungen aus dem Gesundheitswesen sind – und welche gesellschaftlichen Gruppen dabei erreicht werden.
„Uns interessiert dabei besonders, inwiefern der Klimawandel als Thema in der ärztlichen Kommunikation als politisch wahrgenommen wird – und ob das Auswirkungen auf Vertrauen und Akzeptanz hat“, erklärt Projektleiterin Dr. Parichehr Shamsrizi vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Ziel des von der Stiftung Mercator geförderten Projekts ist es, praxisnahe Kommunikations- und Handlungsempfehlungen zu entwickeln – sowohl für medizinisches Personal als auch für politische Entscheidungsträger:innen und relevante Akteur:innen im Gesundheitssektor.
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Zusammen mit der Universität Erfurt hat das BNITM die sogenannte PACE-Studie zum Thema initiiert. Aktuelle Studienergebnisse finden Sie hier.