Erwartungen verändern Schmerzen

Schmerzen haben eine wichtige biologische Funktion. Doch sie können das Leben auch zur Hölle machen. Neurowissenschaftler des UKE gehen daher den physiologischen Mechanismen des Phänomens Schmerz auf den Grund.

Wie verarbeitet das Gehirn Schmerzsignale? Die Forscher ergründen das Phänomen mithilfe bildgebender Verfahren
Wie verarbeitet das Gehirn Schmerzsignale?
Forscher ergründen das Phänomen mithilfe bildgebender Verfahren.

So sieht ein modernes Schmerzexperiment aus: Ein Mann liegt rücklings auf der Liege des Kernspintomographen (MRT) in Haus W34 des UKE. Arme und Beine ragen aus der Röhre, während der Kopf – für Beobachter nicht sichtbar – im Inneren des Diagnosegerätes ruht. Auf dem linken Unterarm wurde ein streichholzschachtelgroßer Apparat fixiert, der mithilfe eines langen Kabelschlauches vom Nebenraum aus gesteuert werden kann: eine Art Herd im Miniaturformat, dessen goldene Herdplatte die Größe einer Zwei-Euro-Münze hat. Ihre Temperatur lässt sich auf ein Zehntel Grad genau einstellen. Sie berührt die Haut und wird nun wärmer.

„Wir haben mit unseren Physikern eine Methode entwickelt, mit der wir Schmerzeffekte im Gehirn und gleichzeitig auch im Rückenmark beobachten können. Das ist wichtig, weil ein Schmerzreiz bereits im Rückenmark das erste Mal verändert wird", erklärt Prof. Dr. Christian Büchel, Direktor des Instituts für Systemische Neurowissenschaften am UKE.

„Schmerz ist ein Signal, das dem Organismus einen drohenden Gewebeschaden signalisiert", sagt der Wissenschaftler. „Man denke an ein zu hoch abbrennendes Streichholz: Die Finger schmerzen bevor die Flamme die Haut verbrennt." Bei genauer Betrachtung leisten die Schmerzrezeptoren des Körpers Erstaunliches, denn sie warnen sowohl vor zu großer Hitze als auch vor schädlicher Kälte, ebenso bei Verätzungen oder bei mechanischen Verletzungen wie Prellungen oder Schnittwunden.

Gespannte Blicke: Alexandra Tinnermann und Prof. Dr. Christian Büchel
Gespannte Blicke:
Alexandra Tinnermann und Prof. Dr. Christian Büchel

Vielseitige Schmerzrezeptoren

Multimodale Reizverarbeitung nennen Neurologen das. Anderen Sinneszellen, die „nur" sehen oder hören können, sind Schmerzrezeptoren damit in puncto Vielseitigkeit überlegen. Und genau das macht sie aus Forschersicht zu besonders interessanten Studienobjekten. „Ein Schwerpunkt unserer Arbeit sind physiologische Phänomene im Bereich Schmerz", sagt Büchel und nennt als Beispiel die sogenannte „Offset-Analgesie": Folgt auf einen etwa zehn Sekunden dauernden mittleren Hitzeschmerzreiz für fünf Sekunden ein noch stärkerer Hitzeschmerz, der dann wieder vom ursprünglichen mittleren Hitzeschmerz abgelöst wird, nimmt ein Mensch den letzten Schmerzreiz gar nicht mehr als Schmerz wahr. Das funktioniere sogar, wenn man bei einem Experiment zwei unterschiedliche Stellen auf der Haut erhitze, erklärt Christian Büchel. Damit sei klar: Das Nicht-Wahrnehmen ist keine Folge eines möglicherweise noch nicht wieder einsatzbereiten Rezeptors, sondern ein Indiz dafür, dass Schmerzen relativ wahrgenommen werden. „Schließlich werden der mittlere Schmerzreiz zu Beginn und am Ende, die ja identisch stark sind, völlig unterschiedlich bewertet", so der Wissenschaftler. „Und wir haben auch gerade eine Struktur im Hirnstamm in Verdacht, die das bewirken könnte."

Erwartung bestimmt Schmerzwahrnehmung

Der Blick ins Hirn mithilfe von bildgebenden Verfahren wie der Kernspintomographie ist unerlässlich, um das Phänomen Schmerz zu verstehen. Es ist notwendig, neben den Schmerzsensoren, den Sendern eines Schmerzsignals, auch die Empfängerseite zu betrachten: Wie verarbeitet das Gehirn Schmerzsignale? Welche Faktoren beeinflussen die Schmerzwahrnehmung im Hirn? Das sind die Fragen, auf die Christian Büchel und sein Team Antworten suchen – und inzwischen auch gefunden haben: „Die Erwartung hat beispielsweise einen riesigen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung. Wenn Patienten von der Wirksamkeit eines Schmerzmittels überzeugt sind, dann wirkt es auch tatsächlich besser."

Die Erwartung an die Wirkung eines Medikaments beeinflusst sogar die Wahrnehmung von Nebenwirkungen, wie Christian Büchel und seine Mitarbeiterin Alexandra Tinnermann mit einer Versuchsreihe zeigen konnten, deren Ergebnisse sie im Wissenschaftsmagazin „Science" veröffentlichten. Die freiwilligen Studienteilnehmer erhielten alle ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff, angeblich eine Salbe gegen Neurodermitis, die als Nebenwirkung zu einem erhöhten Schmerzempfinden führen könne. Der einen Hälfte der Teilnehmer erzählten die Wissenschaftler zudem, die Salbe sei teuer. Der anderen sagten sie, sie sei günstig. Ergebnis: Die Gruppe mit der angeblich teuren Salbe empfand mehr Schmerzen als jene mit dem vermutlich günstigeren Präparat. „Je teurer, desto wirksamer, desto stärkere Nebenwirkungen", erklärt Büchel die mögliche Erwartung der Probanden.

Mithilfe einer Thermode (1.Bild), die am Unterarm befestigt wird (2.Bild),
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Mithilfe einer Thermode (1.Bild), die am Unterarm befestigt wird (2.Bild),
lösen die Forscher Hitzeschmerzen aus; der Kopf der Testpersonen ruht dabei im MRT-Gerät
Mithilfe einer Thermode (1.Bild), die am Unterarm befestigt wird (siehe 2.Bild), lösen die Forscher Hitzeschmerzen aus; der Kopf der Testpersonen ruht dabei im MRT-Gerät
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Mithilfe einer Thermode (1.Bild), die am Unterarm befestigt wird (2.Bild),
lösen die Forscher Hitzeschmerzen aus; der Kopf der Testpersonen ruht dabei im MRT-Gerät
  • Auf einen Blick
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    Placebo? Erwartung!

    Das Wort Placebo vermeidet Prof. Dr. Christian Büchel möglichst, wenn er über seine Arbeit spricht. „Wir verwenden Scheinmedikamente, weil wir damit den Effekt, der allein auf der Erwartung beruht, isolieren können." Erwartungseffekte spielen bei jeder Schmerzbehandlung eine Rolle. Schaffe es ein Arzt, seinen Patienten von der Wirksamkeit eines Schmerzmittels zu überzeugen, erreiche die Therapie auch tatsächlich eher ihr Ziel. Büchel: „Die Erwartung führt dazu, dass der Körper auf seine Hausapotheke zurückgreift und eigene Schmerzmittel, sogenannte Endorphine, freisetzt. Der Körper unterstützt so die Therapie."

Text: Arnd Petry
Fotos: Axel Kirchhof