Nachdenken über das eigene Denken

Psychotherapie statt nur Psychopharmaka – im Metakognitiven Training, das Prof. Dr. Steffen Moritz vor rund 15 Jahren im UKE entwickelte, lernen Patient:innen, das eigene Denken zu reflektieren und typische Denkfallen selbst aufzuspüren. Seit 2018 gehört die Intervention zu den offiziellen Behandlungsleitlinien fürSchizophrenie.

Ein verräterisches Knacken in der Telefonleitung – da hört jemand mit. Die Kollegin schaut auch schon den ganzen Vormittag so komisch herüber; der Chef hat erst gar nicht gegrüßt. Die Stimme im Kopf des jungen Mannes ist überzeugt: Da läuft etwas gegen ihn! „Menschen mit Schizophrenie leiden häufig unter Verfolgungswahn. Auch akustische Halluzinationen wie das Hören von Stimmen oder Gesängen sind typische Symptome“, erklärt Prof. Dr. Steffen Moritz, der in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie die Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie leitet. Aber wo genau liegt die Grenze zwischen natürlichem Misstrauen und einer Psychose? „Ein schizophrener Wahn kennt keinen Zweifel. Egal wie absurd eine Situation oder Begebenheit scheinen mag – das Urteil steht absolut sicher und unverrückbar fest“, erklärt der Psychologe.

Training statt Tablette

Genau hier setzt das Metakognitive Training (MKT, Infos unter www.uke.de/mkt) an. Prof. Moritz: „Es geht darum, bei den Patient:innen Zweifel zu säen, ihnen Impulse zu geben, über das eigene Denken nachzudenken und bestehende Überzeugungen zu korrigieren.“ In zehn verschiedenen Modulen, die sich mit Themen wie „voreiliges Schlussfolgern“, „Korrigierbarkeit“ oder „Selbstwert“ beschäftigen, sollen die Patient:innen für typische Denkfallen sensibilisiert werden. Das Training findet zweimal pro Woche in einer Gruppe von etwa zehn Teilnehmenden statt. Alle Module und Übungen sind interaktiv, spielerisch und sehr praxisnah, sodass sich die Inhalte gut auf den Alltag übertragen lassen.


Es war die schlechte Versorgungslage, die Prof.Moritz dazu bewog, eine neue Therapie für Schizophrenie zu entwickeln. „Psychosen wurden früher fast ausschließlich mit Medikamenten behandelt, die teils starke Nebenwirkungen haben. Heute gelingt es uns durch Offenlegung und Bewusstmachung typischer Denkverzerrungen im MKT, die Urteilssicherheit auch bei vielen Patient:innen ins Wanken zu bringen, die Medikamente ablehnen.“


In Eigenregie zu Hause nutzen

Inzwischen existiert das Metakognitive Training auch für andere psychische Störungen wie Depressionen, Zwangsstörungen und Borderline. „Das Tool funktioniert niedrigschwellig, ist online frei verfügbar und so konzipiert, dass es sowohl von Therapeut:innen, aber im Falle von Zwangsstörungen auch in Eigenregie zu Hause genutzt werden kann“, sagt Prof. Moritz. Damit der Therapieeffekt nicht nachlässt, wird das Programm seit Kurzem auch durch die Smartphone-App COGITO mit einer Übung für jeden Tag ergänzt. „Die App ist ein kleiner Gedächtnisanstoß im Alltag, um das Erlernte wach zu halten und nicht in alte Denk- und Verhaltensmuster zurückzufallen. Ich bezeichne das Tool auch gern als Zahnbürste für die Seele.“

MKT wird heute in mehr als 300 in- und ausländischen Kliniken, Instituten und Praxen durchgeführt. Um Trainingsmaterialien frei zur Verfügung zu stellen und psychische Störungen weiter zu erforschen, ist die Arbeitsgruppe auf Spenden angewiesen.

Weitere Infos: https://clinical-neuropsychology.de/spenden

Text: Nicole Sénégas-Wulf
Foto: Axel Kirchhof