Wer wartet wie lange?

Haben ungelernte Arbeiter:innen die gleichen Gesundheitschancen wie Ingenieur:innen? Erhalten Besserverdienende eine bessere Behandlung als Sozialhilfeempfänger:innen? Soziale Ungleichheit ist ein Kernthema der Versorgungsforschung im UKE.

Portrait Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck
Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck

„Einkommen, Bildung, Sozialstatus und Krankenversicherung haben einen Einfluss darauf, ob jemand gesund bleibt oder krank wird und ob er früher stirbt als andere“, sagt Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck, Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie. „Wir untersuchen, inwieweit dies mit der medizinischen Versorgung zu tun hat.“ Keine leichte Aufgabe, denn aus der Fülle wissenschaftlicher Studien zum Thema ergibt sich eine Faktenlage „mit sehr widersprüchlichen Ergebnissen“. Fest steht: „Es gibt eine soziale Ungleichheit“, sagt Prof. von dem Knesebeck. Man müsse Ursachen und Wirkungen aber viel differenzierter betrachten, als dies bisweilen geschehe und sich in Schlagworten wie „Zwei-Klassen-Medizin“ bündle. Die UKE-Medizinsoziolog:innen unterscheiden drei Ebenen der medizinischen Versorgung: Zugang, Inanspruchnahme und Qualität.

Relevant: Einkommen, Bildung, Versichertenstatus


„Beim Zugang geht es um Barrieren, die Menschen daran hindern, an die nötige Versorgung überhaupt heranzukommen“, erklärt von dem Knesebeck. Müssen sie lange auf einen Termin bei Fachärzt:innen warten? Führt Ärzt:innenmangel in der Provinz dazu, dass Leistungen nicht angeboten werden? „Unsere Studien deuten auf ausgeprägte Ungleichheiten hinsichtlich Einkommen, Bildung und Versichertenstatus hin“, so der Experte. Wer privat versichert ist, bekommt schneller eine:n Fachärzt:in zu fassen. Nur: Haben jene, die länger warten, einen Nachteil? Etwa weil eine Erkrankung chronisch wird? „Bisher gibt es keine guten Untersuchungen zu den Auswirkungen unterschiedlicher Wartezeiten.“

Frau wartet
Diese Situation kennt jede:r: Warten - bis eine Ärzt:in kommt

Zum Thema Inanspruchnahme wird ermittelt: Wer wird wie häufig ambulant oder stationär versorgt? Wer nutzt Präventions- und Rehaangebote? Hinsichtlich der Prävention gebe es „klare Hinweise, dass niedrigere Einkommens- und Bildungsgruppen und gesetzlich Versicherte die Angebote weniger in Anspruch nehmen als andere“, erklärt Medizinsoziologe Dr. Jens Klein. Gesichert sei auch, dass Menschen mit höherem Sozialstatus und Privatversicherte eher Fachärzt:innen konsultieren.

Beim Thema Qualität geht es um Therapieerfolg, Lebensqualität und Überlebensraten. In einer UKE-Studie wurden kürzlich Patienten mit Prostatakrebs untersucht: Sie hatten einen vergleichbaren Tumorstatus, sich den gleichen Eingriffen unterzogen. Dennoch variierte ihre Lebensqualität stark nach Bildung und Einkommen, wie die Befragung sechs und zwölf Monate nach der Operation zeigte. „Unterschiede in der Lebensqualität haben offenbar wenig mit der medizinischen Versorgung zu tun“, resümiert Dr. Klein.

Die Interaktion zwischen Ärzt:innen und Patient:innen gilt als bedeutsamer Faktor für die Versorgungsqualität. Gesprächsdauer, Empathie und die Rückversicherung, dass Patient:innen die Erklärungen der Ärzt:innen gut verstanden haben, seien wichtige Merkmale. „In der ärztlichen Ausbildung legen wir großen Wert auf dieses Thema“, sagt Soziologe Klein. Eine Behandlung sei nach dem Klinikaufenthalt nicht beendet; die folgende „Selbstbehandlung“ sei häufig noch zeitintensiver. „Ungleichheit in der Versorgung findet sich dort, wo Informiertheit eine wichtige Rolle spielt. Wer schlecht informiert ist, wird häufig auch schlechter versorgt.“

Text: Ingrid Kupczik
Foto: Axel Heimken