SARS-CoV-2 greift auch das Gehirn an

Immunsystem reagiert auf Virusinfektion

Das neuartige Corona-Virus kann sich im ganzen Körper ausbreiten. Zu den infizierten Organen muss nach den neuropathologischen Untersuchungen von 43 Patientinnen und Patienten, die an COVID-19 gestorben waren, auch das Gehirn gezählt werden.

Prof. Dr. Markus Glatzel lächelt in die Kamera, eine Porträtaufnahme
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Immunantwort verursacht Hirnschäden
Neuropathologe Prof. Dr. Markus Glatzel

„Neben Komplikationen in Lunge, Herz und Nieren kann es bei COVID-19 auch zu neurologischen Symptomen kommen“, erklärt Studienleiter Prof. Dr. ­Markus Glatzel, Direktor des Instituts für Neuro­pathologie des UKE. Diese sind breit gefächert und reichen von diffusen Beschwerden milder Ausprägung bis hin zu schweren Schlaganfällen. Bislang war noch unklar, ob und wie der Erreger ins Gehirn gelangt und sich dort auch vermehren kann. Prof. Glatzel: „Wir konnten nun zeigen, dass wahrscheinlich nicht das neuartige Corona-Virus selbst das Gehirn schädigt, sondern die neurologischen Symptome eine indirekte Folge der Virusinfektion sind.“

Entzündungszellen an Symptomen beteiligt

Bei rund der Hälfte der untersuchten Patienten (21 von 43) haben die Forscherinnen und Forscher den SARS-CoV-2-Erreger im Gehirn entdeckt. Virus­proteine konnten sowohl im Hirnstamm als auch in Nerven, die aus dem Hirnstamm entspringen, nachgewiesen werden. Die Virusmengen waren
jedoch gering, und die Gehirne von Patienten mit den höchsten Virusmengen zeigten nicht mehr Veränderungen als solche, in denen kein Virus gefunden werden konnte. Das Forscherteam konnte aber eine Immunreaktion in den Gehirnen nachweisen. Die Forschenden schließen daraus, dass Entzündungszellen im Gehirn an der Entstehung der neurologischen Symptome beteiligt sein könnten – und somit nicht das Virus selbst, sondern die Immunantwort des Körpers für den Großteil der Veränderungen im Gehirn verantwortlich ist.

Wie das Immunsystem im Gehirn auf das Virus reagiert,
ist entscheidend für die dort festgestellten Veränderungen.

Prof. Dr. Markus Glatzel, Direktor des Instituts für Neuropathologie

Die für die Studie untersuchten verstorbenen Patientinnen und Patienten (16 Frauen, 27 Männer) waren im Mittel 76 Jahre alt. Alle wurden zu Lebzeiten mit einem Rachenabstrich positiv auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 getestet und entwickelten für COVID-19 typische Symptome. Nach ihrem Tod wurden sie autopsiert und neuropathologisch untersucht. Die Patientenkohorte repräsentiert mit ihren altersgerechten Vorerkrankungen typische COVID-19-Patienten in Deutschland, die während der ersten Pandemiewelle im Frühjahr 2020 verstorben sind.

Therapie für neurologische Schäden gesucht

Limitierender Faktor der Studie ist, dass die neurologischen Symptome nicht systematisch erhoben wurden. „Weitere Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen sind notwendig, um Behandlungsmöglichkeiten für COVID-19-Patienten mit schweren neurologischen Symptomen zu entwickeln“, erklärt Prof. Glatzel. – Die Neuropathologen haben die Studie im UKE gemeinsam mit dem Institut für Rechts­medizin, dem Institut für Medizinische Mikro­biologie, Virologie und Hygiene, der Klinik für Neurologie sowie dem Institut für Neuropathologie des Uniklini­kums Freiburg durchgeführt. Die Ergeb­nisse wurden in den renommierten Fach­magazinen Lancet Neurology und Lancet veröffentlicht.

Fotos: AG Glatzel, Eva Hecht; Axel Kirchhof, Illustration: Björn von Schlippe (Stand: 1. Dezember 2020)