Doppelpass gegen Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist bislang unheilbar und kann zu starken Behinderungen führen. Sport ist für zwei Forscherteams um Prof. Dr. Manuel Friese und Prof. Dr. Christoph Heesen der Schlüssel für eine mögliche Therapie. Damit, so die Hoffnung, wollen sie den für MS typischen Verfall der Nervenfunktionen stoppen.

Für zwei Forscherteams um Prof. Dr. Manuel Friese und Prof.Dr.Christoph Heesen ist Sport der Schlüssel für eine mögliche MS-Therpie
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Prof. Dr. Manuel Friese (l.) und Prof.Dr. Christoph Heesen (r.)

Anfangs geht es wie von selbst, doch nach und nach wird das Drehen der Handkurbel zur sportlichen Herausforderung. „Das Training mit dem Armergometer ist anstrengend. Nach einer Weile kommen alle Patienten dabei ins Schwitzen", sagt Prof. Dr. Christoph Heesen. Der Neurologe leitet die MS-Tagesklinik des UKE, die bei ihrer Gründung 2007 die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland war. Sport ist dort seit Jahren Bestandteil der Therapie. „Früher hat man MS-Patienten davon abgehalten, Sport zu treiben. Heute wissen wir: Sport kann ihre Lebensqualität verbessern", erläutert Heesen. „Kraft, Ausdauer und Balance – also sportnahe Mobilitätsparameter – werden durch Training deutlich besser." Ob sich Sport aber auch auf die typischen Erschöpfungszustände oder Depressionen sowie die geistige Leistungsfähigkeit der Betroffenen auswirke, müsse noch geklärt werden.

Immunzellen schädigen Nervenfasern

Multiple Sklerose ist eine chronisch verlaufende entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems. Die meisten Patienten sind bei der Diagnose zwischen 20 und 40 Jahre alt; unter jungen Erwachsenen ist MS damit die häufigste neurologische Erkrankung. Auch wenn der genaue molekulare Mechanismus der Entzündungsvorgänge noch nicht vollständig bekannt ist: Als gesichert gilt, dass Zellen des eigenen Immunsystems Nervenfasern im Gehirn und im Rückenmark schädigen. Die Immunzellen greifen dabei die Schutz- und Isolierschicht der Nervenfasern an, die als biologische Kabel für die Übertragung von Sinnesreizen und Steuerbefehlen des Gehirns unerlässlich sind.

Ist die Schutzschicht beschädigt, können diese Signale nur noch eingeschränkt übertragen werden. Die Symptome hängen dann von den jeweils geschädigten Nervenzellen ab: Manche MS-Patienten leiden unter Gefühlsstörungen, spüren Kribbeln oder sehen Doppelbilder. Andere fühlen sich kraftlos oder sind unterschiedlich stark an Armen oder Beinen gelähmt. Bei den meisten Betroffenen geht der in den Anfangsjahren schubförmige Verlauf, währenddessen sich akute mit symptomarmen Phasen abwechseln, in eine dauerhaft fortschreitende Form über.

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Prof. Dr. Manuel Friese (r.) und Dr. Dr. Jan Broder Engler

Therapieziel: widerstandsfähige Nervenzellen

Was tun? Prof. Dr. Manuel Friese, Direktor des Instituts für Neuroimmunologie und Multiple Sklerose am ZMNH, glaubt, dass „Sport einen direkten Effekt auf das Gehirn hat und neuroprotektiv wirkt, also einen Schutz gegen Stressoren unterschiedlicher Art darstellt." Stressoren, das können nach Ansicht von Friese Proteinablagerungen wie bei Alzheimer sein, aber auch chronische Entzündungen der Nervenzellen, wie sie bei MS typisch sind. „Die gängigen Therapien richten sich ausschließlich gegen die ursächliche Entzündungsreaktion. Die Wirkstoffe unterdrücken das Immunsystem und haben viele mögliche Nebenwirkungen", erläutert Friese. In der chronisch fortschreitenden Phase habe sich die Schädigung der Nervenzellen aber bereits von der Entzündung abgekoppelt. „Die Nervenzellen gehen dann unter, auch wenn die Entzündung wieder zurückgegangen ist. Die Entzündung hat offensichtlich einen bleibenden Schaden hinterlassen." Vermutlich, so Friese, würden die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen, durch die Entzündung in Mitleidenschaft gezogen. Und genau deshalb könne Sport den Weg zu einer möglichen neuen Therapie weisen: „Mit dem Fitnesstraining trainiert man die Mitochondrien, effizienter Energie bereitzustellen."

Marathon-Mäuse im Forschungseinsatz

Um herauszufinden, wie man durch Sport Nervenzellen widerstandsfähiger gegenüber Stressoren machen kann, arbeiten die Wissenschaftler mit MS-kranken Mäusen: Manche der Tiere laufen fast 15 Kilometer am Stück, während sich andere kaum bewegen. „Wir untersuchen, wie sich das Laufen auf die Genexpression im Gehirn und in den Nervenzellen auswirkt", sagt Prof. Friese. Ersten Untersuchungen zufolge haben die laufenden Mäuse deutlich weniger Nervenzelluntergänge als ihre inaktiven Artgenossen. „Wenn wir die molekularen Signalwege identifizieren können, die durch das Laufen aktiviert werden, können wir eventuell ein Medikament entwickeln, das genau dort eingreift und die Nervenzellen schützt." Ein Medikament, das den positiven Effekt des Sports nachahmt, verspreche auf Dauer den gleichen Erfolg, wie Patienten täglich zum Ergometertraining zu motivieren, so Friese.

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    UKE-Sportwissenschaftler Stefan Patra mit Patientin Gabriele Valentin
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    UKE-Sportwissenschaftler Stefan Patra mit Patientin Gabriele Vale

    Armergometer als Therapie?

    In einer Pilotstudie konnten Prof. Dr. Christoph Heesen und sein Team zeigen, dass Handkurbeln bei chronischer MS das Gehen der Patienten verbessern kann. Mit der aktuellen Studie AMBOS (ArMergometrie zur VerBesserung der MObilität bei chronischer Multipler Sklerose) wollen sie jetzt herausfinden, ob sich dieser Effekt wiederholen und regelmäßiges Armergometertraining als Therapieform nutzen lässt. „Es wäre ein großer Gewinn, wenn man zeigen könnte, dass allein das Armergometertraining den Gang der Patienten stabilisiert", sagt Christoph Heesen. „Wie das funktioniert, ist allerdings nicht ganz klar: Ist es allein eine Verbesserung der Rumpfstabilität oder sind es direkte Wirkungen in den Nervenzellen? Das wollen wir herausfinden."

    Die Hoffnung, dass Sport die Biologie der Nervenzellen verändert, nährt eine andere Studie (AERCONN), bei der 40 Patienten acht Wochen mit einem Fahrrad-Ergometer trainierten. „Klinisch haben wir zwar nur wenige Effekte gesehen", sagt Prof. Heesen. „Die Ergebnisse der Kernspin-Untersuchungen geben aber erste Hinweise, dass sich tatsächlich Netzwerke im Gehirn verändern." Um diese Vorgänge zu entschlüsseln, sei weitere Grundlagenforschung zusammen mit dem ZMNH notwendig.

Text: Arnd Petry
Fotos: Axel Kirchhof