Experten für schwere Fälle

COVID-19-Erkrankungen haben meist einen milden Verlauf. Bis zu fünf Prozent der Betroffenen
müssen jedoch stationär aufgenommen werden. Das UKE ist mit seiner Expertise und Ausstattung bestens gerüstet für besonders schwere klinische Verläufe und trägt mit zahl­reichen Studien dazu bei, die Therapie weiter zu verbessern.

Prof. Kluge steht an einem leeren Intensivbett, einen Tubus in der Hand. Er trägt einen weißen Kittel und Alltagsmaske, Erklärend blickt er ernsthaft in die Kamera
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Große Verantwortung
Intensivmediziner Prof. Dr. Stefan Kluge

Mehr als 90 schwerkranke COVID-19-Patientinnen und -Patienten wurden bis Mitte November im UKE intensivmedizinisch versorgt. Ein Drittel war aus anderen Kliniken nach Eppendorf verlegt worden, da das UKE unter anderem die Möglichkeit der Extrakorporalen Membranoxygenierung, kurz: ECMO, bietet. Das Hightech-Gerät wird eingesetzt, wenn die normale Beatmung nicht mehr ausreicht und ein Herz-Lungen-Versagen droht. Die ECMO reichert das Blut zusätzlich außerhalb des Körpers mit Sauer­stoff an und befreit es vom Kohlendioxid.


„Wir sehen uns verantwortlich für die Versorgung schwerer COVID-19-Verläufe aus Hamburg und Umgebung“, betont Prof. Dr. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin. COVID-19 sei „vom klinischen Verlauf her eigentlich eher einfach: Es handelt sich um eine Infektion der oberen und unteren Atemwege.“ Aber bei einem Teil der Betroffenen verursachen die Viren eine schwere Lungenentzündung, die zu Atemnot und dem Absinken der Sauerstoffsättigung des Blutes führt. Gelangen die Viren in die Blutbahn und zu anderen Organen, kann es zu einer extremen Entzündungsreaktion kommen, die ein oft tödliches Multiorganversagen bewirkt.

eine blaue Illustration: Das Thema Blutwäsche übertragen auf eine rüttelnde Waschmaschine, in der etwas Rotes gewaschen wird.

Blutwäsche gegen Entzündungsreaktionen

Eine Studie im UKE soll nun Aufschluss geben, ob eine spezielle Blutwäsche vor überschießenden Entzündungsreaktionen bei COVID-19 schützen kann. Bei der „adsorptiven Blutreinigungstechnologie“ werden Entzündungsbotenstoffe aus dem Blut entfernt. Das innovative Verfahren wird bereits in der Intensivmedizin und Herzchirurgie genutzt. In die von den Intensivmedizinern Dr. Axel Nierhaus und Dr. Dominik Jarczak gestaltete CytoCOV-19-Studie werden 24 Intensivpatienten aufgenommen.

Am Anfang der Pandemie habe es weder eine standardisierte Behandlung noch spezifische Medikamente gegeben, berichtet Prof. Kluge. „Erforderlich war eine individualisierte und stetig angepasste Therapie – und der Austausch aller beteiligten Diszi­plinen.“ Heute orientieren sich die Ärztinnen und Ärzte auf den Intensivstationen an einer Leitlinie, an der Prof. Kluge maßgeblich mitgewirkt hat: Die von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) herausgegebenen „Empfehlungen für die intensivmedizinische Therapie von Patienten mit COVID-19“ werden regelmäßig an den neuesten Stand der Forschung angepasst. So wird geraten, das Steroid Dexamethason nur bei schwer erkrankten, beatmungspflichtigen Patienten und das Medikament Remdesivir nur in der Frühphase der Intensivbehandlung zu verabreichen.

Wir sehen uns verantwortlich für die Versorgung
schwerer COVID-19-Verläufe aus der Region.

Prof. Dr. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin

Eine Pflegerin trainiert an einer Puppe die Arbeit mit Patienten der COVID19 Intensivstation
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Üben, üben, üben
Die Intensivversorgung bedarf umfangreicher Vorkenntnisse

Hohes Alter und Vorerkrankungen erhöhen das Sterbe­risiko bei COVID-19. „Anders als in Großbritannien oder Schweden werden bei uns auch Menschen über 80 intensivmedizinisch betreut“, betont Prof. Kluge. „Die Behandlung muss medizinisch sinnvoll sein, also eine Überlebens­chance bieten, und der Patient muss sie wollen.“ Die Sterberate bei Corona-Intensivpatienten liegt im UKE bei 30 Prozent. Das ist niedrig im internationalen Vergleich, aber höher als im Durchschnitt der Hamburger Kliniken (20 Prozent) – und leicht zu erklären, so Kluge: „Die schweren Fälle sind ja bei uns.“

Wertvolle Informationen über Angriffsziele und Zerstörungskraft des Virus liefern die verstorbenen COVID-19-Patienten, die in Hamburg seit Beginn der Pandemie regel­haft obduziert werden. Über 300 Tote wurden bisher im Insti­tut für Rechtsmedizin untersucht. „Schon bei den ersten zwölf Verstorbenen stellte sich heraus, dass ein Drittel eine tödliche Lungenembolie entwickelt hatte“, berichtet Prof. Kluge. Bei folgenden Sektionen wurden in 40 Prozent der Fälle Thrombosen gefunden. Seitdem erhalten Patienten vorbeugend gerinnungshemmende Medikamente – eine Praxis, die weltweit Schule machte und vermutlich viele Leben gerettet hat.

Wer profitiert von Thrombose-Prophylaxe?

Nicht geklärt ist bisher: Wer profitiert besonders von dieser standardmäßigen Thrombose-Prophy­laxe, und wer hätte mehr von einer intensiveren Antikoagulation? Das soll die HERO-19-Studie klären, die Prof. Kluge gemeinsam mit Priv.-Doz. Dr. Mahir Karakas vom Universitären Herz- und Gefäßzentrum des UKE leitet. An der Studie, die im November startete, beteiligen sich sechs weitere deutsche Kliniken. „Sie ist besonders wichtig, weil sie in die Zukunft gerichtet ist, und wir sind stolz, dass wir sie im UKE organisieren können“, sagt Kluge.

In mehr als 200 Studien, an denen UKE-Expertinnen und -Experten beteiligt waren, haben die Hamburger Mediziner neue Erkenntnisse über die Wirkweise des Virus und eine effektive Gegenwehr gewonnen. Und doch sorgt COVID-19 immer wieder für Überraschungen. Intensivmediziner Kluge berichtet von einem schwerkranken, stark sauerstoffpflichtigen Patienten, den man von einem anderen Krankenhaus übernommen hatte. Beinahe zum Tode verurteilt, erholte sich der Mann so rasch, dass er nach zwei Tagen auf die Normalstation verlegt werden konnte. „Medizin ist nicht schwarzweiß“, sagt Kluge, „und wir sind keine Wahrsager“.

Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Axel Heimken, Axel Kirchhof, Illustration: Björn von Schlippe (Stand: 1. Dezember 2020)