Von Herdenimmunität weit entfernt

Antikörper-Studie bei Blutspendern

Die Hoffnung, dass eine hohe Dunkelziffer von klinisch stummen Infektionen rasch zu Herdenimmunität und zum Erliegen der Pandemie führen könnte, ist verbreitet. Wie viele Menschen haben eine Corona-Infektion überstanden, ohne es zu bemerken? Eine Antikörper-Studie bei Blutspenden schafft Klarheit.

Dr. Sven Peine schaut lächelnd in die Kamera, eine Porträtaufnahme
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Blutspenden unter der Lupe
Dr. Sven Peine, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin

Am Institut für Transfusionsmedizin des UKE werden jährlich bis zu 28 000 Blutspenden gewonnen. Seit April werden davon jeden Monat rund 300 anonymisierte Blutspenden auf SARS-CoV-2-Antikörper untersucht. Die Spenden stammen von gesunden Frauen und Männern, 18 bis 70 Jahre alt – und überzeugt, dass sie noch keine Corona-Infektion hatten.

Die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz hat die Studie angestoßen, um Rückschlüsse auf die Immunität der Hamburger Bevölkerung zu ziehen. Bis Oktober waren über 2000 Proben untersucht worden. Zwischenbilanz: In maximal 1,5 Prozent der Proben wurden SARS-CoV-2-Antikörper gefunden. „Das ist weit entfernt von einer Herdenimmunität, bei der mindestens 70 Prozent der Bevölkerung Anti­körper gegen den Erreger gebildet haben“, erklärt Institutsleiter Dr. Sven Peine. Blutspenderinnen und Blutspender seien zwar kein Abbild der Hamburger Bevölkerung, „dennoch liefern die Spenden wertvolle Hinweise auf unbemerkte Infektionsverläufe“.

Wir müssen stets auf der Hut sein vor Erregern,
die bislang nicht bei uns in Deutschland heimisch waren.

Dr. Sven Peine, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin

dicht an dicht stehen etikettierte Blutkonserven im einem mehrstöckigen Metallregal
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Großer Bedarf
Blut- und Plasmaspenden werden täglich im UKE benötigt

Blut- und Plasmaspenden untersucht

Die Möglichkeit, Blutspenden zur Bestimmung von Immunität zu untersuchen, wurde schon zu verschiedenen Anlässen genutzt, etwa 2018, als in der Hanse­stadt ein massenhaftes Amselsterben auftrat. Ursache war das Usutu-Virus, ein aus Afrika stammender Erreger, der von Stechmücken auf die Singvögel übertragen worden war. Seit mehreren Jahren war das Virus immer wieder in Deutschland und anderen europäischen Ländern geortet worden.

„Unklar blieb aber, ob es auch auf Menschen übertragen wird“, so Dr. Peine. Gemeinsam mit dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin wurden im UKE Blut- und Plasmaspenden auf entsprechende Antikörper untersucht. Fehlanzeige, zum Glück. „Wir müssen stets auf der Hut sein vor Erregern, die bislang nicht bei uns in Deutschland oder nur im Tier heimisch waren. Sie können schlimme Folgen für den Menschen haben und sind auch relevant für die Versorgung mit Spenderblut.“

Im Vorfeld der Corona-Antikörper-Suche hatte das Team um Dr. Peine nach einem zuverlässigen Test gefahndet. In kurzer Zeit waren zahlreiche Tests auf den Markt gekommen, „oft von höchst zweifel­hafter Qualität“. Fünf Tests namhafter Hersteller wurden geprüft, und zwar an 300 Rückstellproben aus dem Jahr 2017, als es mit großer Sicherheit noch keine SARS-CoV-2-Infektionen gab. Der eine, der sich durchgesetzt hat, hatte unter 319 Proben nur ein einziges falsch positives Ergebnis geliefert. Anti­körpertests sind nach Ansicht von Dr. Peine wichtig und sinnvoll, auch um Infektionsketten, beispielsweise in einem Krankenhaus, nachverfolgen zu können. Von Tests für den privaten Hausgebrauch, wie sie vielfach im Internet angeboten werden, rät er indes ab. „Die haben teilweise eine Genauigkeit von 50 Prozent. Das ist wie Münze werfen.“

In zehn Minuten ein Leben retten: Infos zur Blutspende finden Sie hier

Fotos: Eva Hecht, Axel Kirchhof, Illustration: Björn von Schlippe (Stand: 1. Dezember 2020)