Kurzbeiträge wissen + forschen 2019
zum Thema "Versorgungsforschung"

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  • Silke Pawils
    Priv.-Doz. Dr. Silke Pawils
    begleitet das Babylotsen-Projekt

    Familien in belastenden Lebensumständen unterstützen

    Wirksames Lotsensystem

    Angebote wie die Programme „Babylotse“, „Bapylotseplus“ oder „KinderZukunft“ haben sich deutschlandweit in Geburtskliniken durchgesetzt. UKE-Forschende begleiten diese wissenschaftlich.


    Der stationäre Lotsendienst, der Familien in belastenden Lebensbedingungen unterstützt, basiert auf einer psychosozialen Anamnese durch eine sozialpädagogisch geschulte Fachkraft, bestehend aus einem Kurzfragebogen, den alle werdenden Eltern bei der Geburtsanmeldung beantworten und einem ergänzenden, motivierenden Gespräch mit belasteten Eltern, um die bestmögliche, möglichst wohnortnahe Unterstützung zu finden. Bis zu einem Jahr nach der Geburt kann die Begleitung durch die Babylotsen genutzt werden. Das Babylotsen-Monitoring stellt zusätzlich einen wichtigen Qualitätsstandard des Lotsensystems dar, denn schwierige Lebensbedingungen können auch nach der Geburt in der Familie auftreten.

    In einer Studie mit rund 9000 Familien aus Frauen- sowie Kinder- und Jugendarztpraxen wurde ermittelt, wie die Belastungslage von werdenden und jungen Eltern aktuell ist und ob ein Lotsensystem Unterstützungsangebote vermitteln kann. Wie wenig es in der Regelversorgung den Ärzt:innen und dem medizinischen Fachpersonal gelingt, systematisch die teils schwerwiegenden Belastungen von jungen Familien überhaupt wahrzunehmen oder den Familien in irgendeiner Form Unterstützung zu gewähren, überraschte Priv.-Doz. Dr. Silke Pawils, Leiterin der Forschungsgruppe Prävention am Institutfür Medizinische Psychologie, und ihr Team. Umso dringlicher ist es für die Forschenden, die Prüfung der neuen Versorungsform „KID-PROTEKT“ voranzubringen, deren Ziel die Förderung einer gesunden Kindesentwicklung trotz psychosozialer Belastungssituation in der Familie ist – damit die neue Versorgungsform breit umgesetzt werden kann.

  • Trans Menschen oft psychisch belastet

    Videosprechstunde und Live-Chat als Therapie

    Manche Menschen erleben ihre Geschlechtszugehörigkeit nicht im Einklang mit ihrem körperlichen Geschlecht. Das Interdisziplinäre Transgender Versorgungszentrum (ITHCCH) ist als eines von wenigen Zentren auf die Behandlung von trans (früher: transsexuellen) Menschen spezialisiert. „Betroffene, die nicht in der Nähe solcher Zentren oder von spezialisierten Fachkräften leben, werden oft gar nicht oder falsch behandelt und sind dadurch häufig psychisch belastet, gerade auch in Pandemie-Zeiten“, sagt Priv.-Doz. Dr. Timo Nieder vom Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie. Er leitet das vom Innovationsfonds geförderte Projekt „i²TransHealth“, das Betroffenen unabhängig vom Wohnort eine medizinische Versorgung ermöglichen soll, die ihren Transsexualismus berücksichtigt.

    Bessere Lebensqualität ist das Ziel

    Im Rahmen des Projekts werden ein Ärzt:innennetzwerk sowie eine Internet-Plattform aufgebaut. Ärzt:innen werden für eine spezifische Behandlung transsexueller Menschen geschult. Für Betroffene ist das Portal frei zugänglich. Wer teilnehmen möchte, sucht eine:n Ärzt:in des Netzwerks auf, nimmt am Erstgespräch teil und wird randomisiert einer Interventions- oder einer Wartegruppe zugewiesen. DieTeilnehmenden der Interventionsgruppe können sich per Live-Chat mit Spezialist:innen austauschen und besuchen alle zwei Wochen eine Videosprechstunde. Die Wartegruppe nimmt nach vier Monaten ebenfalls an der Versorgung teil. Im Anschluss wird ermittelt, ob i²TransHealth dazu beiträgt, die Lebensqualität von trans Menschen zu verbessern.

  • Wie sich Wohnbedingungen auswirken

    Studie: Was macht eine Stadt gesund?

    Für Erkrankungen können meist Risikofaktoren benannt werden, die sich vermeiden lassen. Was aber führt dazu, dass Menschen gesund sind und bleiben? In einer groß angelegten Studie untersuchen Wissenschaftler:innen, wie verschiedene Gesundheitsfaktoren sich gegenseitig beeinflussen. Denn dafür, dass ein Mensch gesund ist, gibt es unterschiedliche Gründe – zum Beispiel, über welche körperliche Disposition er verfügt, ob er mit seinen Lebensumständen zufrieden ist oder wie viel Lärm er an seinem Wohnort ausgesetzt ist. In der Studie „Was macht eine Stadt gesund?“, in der Daten der Hamburg City Health Studie (HCHS) sowie weiterer urbaner Forschungsprojekte ausgewertet werden, untersuchen Wissenschaftler:innen in 15 Arbeitsgruppen, welche Faktoren besonders wichtig sind und wie sich diese untereinander verstärken oder neutralisieren können.

    Einflüsse auf das Wohlergehen untersuchen


    „Gesundheit ist nicht einfach nur Schicksal“, sagt Prof. Dr. Matthias Augustin, Leiter des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen. Zusammen mit seinem Team will er herausfinden, wie verschiedene Faktoren auf das Wohlergehen einwirken. „Wir entwickeln Hypothesen wie zum Beispiel die, dass schlechte Wohnbedingungen bestimmte Atemwegserkrankungen zur Folge haben können“, erläutert Augustin. „Im nächsten Schritt prüfen wir, was das genau bedeutet – wie etwa Belastung der Atemluft, Baumaterial der Wohnung oder Zugang zu ärztlicher Versorgung zusammenspielen.“

  • Wie Familie Pflege organisiert
    Pflegewissenschaftlerin Lydia Neubert untersucht
    die Auswirkung häuslicher Pflege auf das Leben in der Familie


    Studie: Angehörige mit Demenz zu Hause versorgen

    Wie Familie Pflege organisiert

    Wer einen Angehörigen mit Demenz pflegt, kann großen Belastungen ausgesetzt sein. Wie Familien die häusliche Pflege mit ihrem Familien- und Berufsleben unter einen Hut bringen, ist Gegenstand einer Untersuchung am Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung.

    „Bisherige Studien befragten ausschließlich die Hauptpflegeperson. In unserer Studie aber kamen aus jeder Familie weitere Verwandte sowie nichtfamiliale Personen zu Wort, die in Einzelinterviews zudem frei erzählen konnten“, erklärt Pflegewissenschaftlerin Dr. Lydia Neubert das Vorgehen ihres Teams. Ein wesentliches Ergebnis: Die Aufgabenverteilung hängt eng mit den Beziehungen innerhalb der Familie zusammen. Aufgaben werden entweder gleich, ungleich oder auch gar nicht geteilt.

    Beispielsweise gibt es Geschwisterpaare, die sich gemeinsam um die Mutter mit Demenz kümmern und auch welche, in denen sich einer trotz Bitte des anderen nicht an der Pflege beteiligt. Die Beziehungen zwischen den Verwandten werden dementsprechend als „harmonisch“, „unverändert“ oder „konfliktbeladen“ wahrgenommen. „Wenn gemeinsam gepflegt wird, bestanden schon vor der Pflege harmonische Beziehungen. Wohingegen in konfliktbeladenen Beziehungen die Konflikte zwar oberflächlich um die Pflege ausgetragen werden, sie aber nicht nur auf der aktuellen Pflegesituation beruhen, sondern auch auf früheren Ereignissen“, sagt Lydia Neubert.

    Zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege eines Angehörigen mit Demenz lassen sich unter den Studienteilnehmer:innen kaum Schwierigkeiten ausmachen. Indes war zu beobachten, dass der Beruf teilweise als willkommene Ablenkung erlebt wird. „Wird der Beruf als ein stärkender Lebensbereich erfahren, kann dies sogar die Belastung pflegender Angehöriger reduzieren“, so Dr. Neubert.

  • Mehr als Juckreiz und Hautrötungen

    Psoriasis: Patient:innen sind krank und stigmatisiert

    In Deutschland leben etwa zwei Millionen Menschen mit Psoriasis, einer chronisch-entzündlichen Hauterkrankung, die Juckreiz und Hautrötungen hervorruft, aber auch Gelenke und Organe befallen kann. „Bei Patient:innen mit Schuppenflechte ist der subjektive Leidensdruck oft immens hoch – gerade, wenn sichtbare Hautpartien wie das Gesicht betroffen sind“, erläutert Prof. Dr. Matthias Augustin, Dermatologe und Leiter des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen. „Denn obwohl die Erkrankung nicht ansteckend ist, gehören negative Reaktionen anderer Menschen zusätzlich zu den krankheitsbedingten Symptomen oft zum Alltag der Psoriasispatient:innen.“

    Schlechte Versorgung verstärkt Leidensdruck

    In der bereits seit 2005 laufenden Studie „PsoHealth“ wurde unter der Leitung von Prof. Augustin eine umfassende Versorgungsanalyse zur Behandlung von Schuppenflechte vorgenommen. Unter anderem die Auswertung eines Fragebogens zeigte einen alarmierenden Zustand: „Die Lebensqualität vieler Patient:innen mit Schuppenflechte ist sehr stark eingeschränkt“, so Prof. Augustin. 2007 entwickelte sein Team eine rechtlich bindende Leitlinie für die Versorgung von Psoriasispatient:innen. Unter anderem regelt sie, auf welche Weise gemessen wird, wie schwer ein:e Patient:in von Schuppenflechte betroffen ist und was beim Verschreiben von Medikamenten beachtet werden muss. In der Folge hat sich die Zahl der Patient:innen mit einer besonders schweren Belastung der Lebensqualität halbiert.

  • Positive Auswirkungen belegt

    Selbsthilfe macht klug: Von Erfahrungen profitieren

    Von A wie Asthma bis Z wie Zöliakie: In Deutschland sind rund 3,5 Millionen Menschen mit chronischen Erkrankungen in 100.000 Selbsthilfegruppen aktiv. Doch welche Wirkung hat eigentlich Selbsthilfe? Das ist eine Kernfrage der SHILD-Studie, einer über fünfjährigen, vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Untersuchung zur gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Deutschland. Das UKE hat in Zusammenarbeit mit Forscher:innen aus Hannover und Köln Struktur, Ziele und Aktivitäten von Selbsthilfeorganisationen und -gruppen erforscht.

    Das Gefühl, nicht allein zu sein

    „Selbsthilfe setzt insbesondere dort an, wo professionelle Hilfe endet“, erklärt Dr. Christopher Kofahl, Institut für Medizinische Soziologie, der das SHILD-Projekt koordinierte. „Wenn Patient:innen entlassen werden, erhalten sie oft keine Informationen, wie sie mit Einschränkungen zurechtkommen, auf welche Hilfen sie Anspruch haben.“ Eine Selbsthilfegruppe könne diese Lücke füllen: Dort geben Menschen mit ähnlichem Schicksal ihr Wissen weiter, liefern alltagspraktische Tipps. „Selbsthilfe macht klug“, sagt Dr. Kofahl. 80 Prozent lernen mithilfe der Gruppe, die Krankheit besser zu bewältigen, 90 Prozent profitieren von den Erfahrungen der anderen, 96 Prozent haben das Gefühl, nicht allein zu sein, ergab die Studie. SHILD-Koordinator Kofahl würde es begrüßen, wenn mehr Ärzt:innen als bisher über Selbsthilfeangebote aufklärten. „Auch für Stationsärzt:innen ist es entlastend, den Patient:innen eine Empfehlung zu geben, wie es weitergehen kann.“

  • Prof. Dr. Antonia Zapf
    Prof. Dr. Antonia Zapf
    Biometrie + Epidemiologie wichtig für valide Forschungsergebnisse

    Medizinische Biometrie und Epidemiologie

    Zahlen lesen können

    Eine umfassende Auswertung statistischer Daten liefern Expert:innen des Instituts für Medizinische Biometrie und Epidemiologie. Sie sind für Versorgungsforscher:innen von großer Bedeutung.

    In der Versorgungsforschung werden Strukturen und Prozesse der Gesundheitsversorgung untersucht. „Dabei können grob zwei Forschungsziele unterschieden werden“, erläutert Prof. Dr. Antonia Zapf, stellvertretende Leiterin des Instituts für Medizinische Biometrie und Epidemiologie. Einerseits könne es Ziel sein, die Versorgungssituation zu erforschen und Missstände zu identifizieren. Andererseits sei denkbar, bestehende Versorgungsformen zu vergleichen und neue zu evaluieren. Prof. Zapf: „Aus statistischer Sicht haben beide Forschungsbereiche ihre Besonderheiten.“ Bei epidemiologischen Studien mit Fragen der Versorgungsforschung, wie zum Beispiel der NAKO Gesundheitsstudie, werden Sekundärdaten mit den direkt erhobenen Daten kombiniert, um Versorgungsketten darzustellen und zu analysieren. Dabei müsse dem unterschiedlichen Evidenzgrad der Datenquellen Rechnung getragen werden, so die Biometrikerin.

    Kooperationspartner:innen und ihre Expertise

    In Studien zur Evaluation neuer Versorgungsformen werden häufig komplexe Interventionen auf der Ebene der Einrichtungen evaluiert, für die ein cluster-randomisiertes Design optimal ist. Cluster-Randomisierung bedeutet, dass komplette Einrichtungen wie zum Beispiel Praxen, Pflegeeinrichtungen oderTeilpopulationen wie Dörfer oder Regionen zufällig bestimmten Interventionen zugeteilt werden. Diese Struktur müsse bei Planung und Auswertung entsprechend berücksichtigt werden. Prof. Zapf: „Kooperationspartner:innen aus Biometrie und Epidemiologie können mit ihrer Expertise dazu beitragen, valide Forschungsergebnisse zu erzielen.“



  • Versorgung bei Multimorbidität

    Behandlungsstandards für ältere Patient:innen

    Multimorbidität ist eine der größten Herausforderungen der Gesundheitsversorgung: Bis zu zwei Drittel der älteren Bevölkerung leiden gleichzeitig an drei oder mehr chronischen Erkrankungen. Doch bislang gibt es keine Behandlungsstandards. Mit dem Projekt MULTIqual soll diese Lücke geschlossen werden. Ziel ist es, Qualitätsmerkmale zu definieren, Behandlungsstandards zu etablieren und Unter-, Über- oder Fehlversorgungen zu reduzieren.

    Auch Betroffene werden befragt

    „Uns ist es wichtig, auch die Betroffenen einzubinden, da die Versorgung immer vor dem Hintergrund individueller Krankheitskombinationen und Präferenzen erfolgt“, erklärt Prof. Dr. Martin Scherer, Leiter des Instituts und der Poliklinik für Allgemeinmedizin. Multimorbide Patient:innen und deren Angehörige wurden daher zu ihren Bedürfnissen und Erfahrungen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung befragt. Die Ergebnisse flossen in die Identifizierung von Qualitätsmerkmalen ein. Fachleute aus haus- und fachärztlicher Versorgung, Pharmakologie und Pflege sowie Patient:innenvertretung wählten 25 Indikatoren aus, darunter ein Depressionsscreening, das Ermitteln von Patient:innenpräferenzen, die partizipative Entscheidungsfindung sowie Fortbildungsmaßnahmen. Im nächsten Schritt werden die Indikatoren auf ihre Ausprägung, Machbarkeit und Aussagekraft geprüft, ihr Einfluss auf Lebensqualität und funktionellen Status untersucht. Dazu werden unter anderem 350 multimorbide Patient:innen sowie 50 Ärzt:innen an Studienzentren in Hamburg und Heidelberg befragt.

  • Studienmodul soll Stigmatisierung entgegenwirken

    Unverstellter Blick auf psychisch Erkrankte

    Menschen mit psychischen Erkrankungen begegnen der Medizin nicht nur in der Psychiatrie: Hausärzt:innen sind oft die Ersten, die bei Veränderungen der Befindlichkeit auch psychische Aspekte bedenken müssen. Chirurg:innen haben mit den Folgen von Selbstverletzungen zu tun, Gynäkolog:innen mit denen von Magersucht. Umgekehrt kann die psychiatrische Diagnose den Blick auf andere Erkrankungen verstellen mit manchmal dramatischen Folgen.„Vorurteile und Stigmatisierung gibt es auch bei Medizinstudierenden“, erklärt Prof. Dr. Thomas Bock, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

    Eigene Vorurteile erkennen, Ängste relativieren

    Das „Trialogische Antistigma-Modul für Medizinstudierende“ soll Vorurteilen entgegenwirken. Das Modul wurde in Kooperation mit dem Verein „Irre menschlich Hamburg“ entwickelt. Nach einer Erprobung im Wahlfach ermöglichte eine Spende die Durchführung für einen Studienjahrgang. Ziel war, sich mit dem eigenen „Stigma-Potenzial“ und den Folgen von Vorurteilen im Medizinbetrieb auseinanderzusetzen, durch die Begegnung mit Psychiatrie-Erfahrenen Ängste zu relativieren, durch theoretische Reflexion den Blick zu weiten, die Person hinter der Diagnose stärker wahrzunehmen und die Konsequenzen für die eigene berufliche Perspektive zu diskutieren. „Die aktuelle Auswertung hat gezeigt, dass es gelingen kann, die soziale Distanz sowie die Neigung zu Stereotypen und negativen Gefühlen zu verringern“, erklärt Prof.Bock. Inzwischen gehört das ambitionierte Lehrprojekt zum regelhaften Studiengang.

  • Befindlichkeiten werden beim Screening detailliert abgefragt, um einer Erkrankung schneller auf die Spur zu kommen
    Mit Screening der Befindlichkeit eine Erkrankung finden

    Depressionen bleiben häufig unerkannt

    Sind Sie niedergeschlagen?

    Ein Fragebogen soll dazu beitragen, Anzeichen depressiver Störungen früher festzustellen und so eine effektive Behandlung ermöglichen.

    Einen besonderen Stellenwert beim Erkennen von depressiven Störungen hat die hausärztliche Versorgung. Schätzungen gehen davon aus, dass jede:r sechste Patient:in in einer Hausärzt:innenpraxis unter Depressionen leidet. Um die Versorgung zu verbessern, führt ein Team um Prof. Dr. Bernd Löwe, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, die Studie GET.FEEDBACK.GP durch. Ziel ist es, Betroffene nicht nur schneller zu identifizieren, sondern aktiv in die Diagnostik und mögliche Behandlung miteinzubeziehen.

    Die multizentrische Studie ist so konzipiert, dass alle teilnehmenden Patient:innen zu möglichen depressiven Symptomen befragt werden. Bei einem positiven Befund erhalten zufällig ein Drittel der Patient:innen und ihre Hausärzt:innen eine Rückmeldung über das Ergebnis, in einem Drittel der Fälle erhalten nur die Ärzt:innen eine schriftliche Ergebnisrückmeldung und in einem weiteren Drittel erhalten weder Ärzt:innen noch Betroffene eine Ergebnisrückmeldung. Wie eine vorangegangene Studie ergeben hat, führt die direkte Rückmeldung depressiver Symptome an Patient:innen zu einer Linderung der Depression.

    „Nach sechs Monaten hatte sich die Depressivität der Patient:innen, die eine Rückmeldung erhalten hatten, im Gegensatz zu denjenigen, die keinen Hinweis auf ihre Erkrankung bekommen hatten, signifikant verbessert“, erläutert Prof. Löwe. „Die Patient:innen informierten sich mehr über das Thema Depressionen und gestalteten dadurch wahrscheinlich als aktive Partner:innen die Behandlung mit.“ Diese Rückmeldung wird in der neuen Studie in hausärztlichen Praxen im Raum Hamburg, München, Tübingen, Jena und Heidelberg getestet, erste Ergebnisse werden in Kürze erwartet.



  • Eltern-Kind-Bindung stärken

    Präventionsprogramm für benachteiligte Familien

    Benachteiligte Familien haben es schwer. „Obwohl Forschungsarbeiten eine beeinträchtigte Lebensqualität, weniger funktionale Beziehungen sowie geringere berufliche und schulische Chancen belegen, gibt es kaum Untersuchungen, wie diesen Familien wirksam geholfen werden kann“, sagt Psychologin Dr. Julia Quitmann, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie.

    Kurs für Eltern: „Sicherer Hafen“

    Gemeinsam mit ihrem Team der AG Lebensqualitätsforschung begleitet die Psychologin das Hamburger Modellprojekt „Sicherer Hafen“ (von der BerndtSteinKinder Stiftung in Kooperation mit der Babyambulanz – Von Anfang an). Die Forscher:innen wollen die Wirksamkeit der Unterstützungsmaßnahmen prüfen und Verbesserungsansätze identifizieren. Der Kurs begleitet werdende Eltern bis zum18. Lebensmonat ihres Kindes. Ziel ist es, ihren Blick für das eigene Bindungsverhalten, ihre Rollenbilder und Vorstellungen von Familie und Partnerschaft zu schärfen und die Eltern-Kind-Bindung zu stärken.

    Die Eltern sollen in die Lage versetzt werden, empathisch und feinfühlig auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingehen zu können. Im Verlauf des Kurses verbesserten sich die Eltern-Kind-Beziehung und kindliche Lebensqualität signifikant. Die Ergebnisse legen nahe, so Dr. Quitmann, dass der „Sichere Hafen“ gut angenommen wird und zu einer Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung beitragen kann. In weiteren Studien soll die Wirksamkeit durch den Vergleich mit einer Kontrollgruppe und längeren Follow-Up Zeiträumen bekräftigt werden.

  • Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, leidet die Familie

    Zurück in den Alltag: Wer benötigt welche Hilfe?

    Eine Krebserkrankung bei Kindern und Jugendlichen bedeutet eine extreme Belastung – für die Patient:innen, aber auch für Eltern und Geschwister. „Wenn ein Kind die Diagnose einer Krebserkrankung erhält, ist für die gesamte Familie eine intensive psychosoziale Betreuung erforderlich“, erklärt Prof. Dr. Corinna Bergelt, Leiterin der Forschungsgruppe Psychoonkologie, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie. Nach Abschluss der intensivmedizinischen Behandlung einer pädiatrischen Krebserkrankung folgt in der Nachsorge bestenfalls eine Versorgung, in der sowohl medizinische wie auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt werden. Auf diese Weise sollen die jungen Patient:innen und ihre Angehörigen unterstützt werden, den neuen Alltag nach überstandener Krebserkrankung zu bewältigen.

    In der Studie „Famki-onko-V – Familien mit krebskrankem Kind nach Abschluss der Akuttherapie“, gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), untersuchen Prof. Bergelt und ihr Team, welche Belastungen und Unterstützungsbedürfnisse Patient:innen sowie ihre Angehörigen nach Abschluss der Intensivtherapie erleben. Darüber hinaus soll die Versorgungssituation, das heißt die Inanspruchnahme von Versorgungsangeboten und damit verknüpfte Faktoren, untersucht werden. Die Ergebnisse sollen idealerweise Erkenntnisse zur Ausgestaltung der Nachsorgephase liefern und für die Entwicklung von Strategien für Präventions- und Unterstützungsangebote genutzt werden, um so die Versorgung der betroffenen Familien zu verbessern.

  • Dr. Christian Wolfram
    Priv.-Doz. Dr. Christian Wolfram
    möchte die empirische Datenbasis für Augenerkrankungen verbessern

    Aufbau eines Registers für weitverbreitete Augentherapie

    Wissenslücken schließen

    Injektionen in den Glaskörper gehören zu den häufigsten Therapien der Augenheilkunde. Im UKE ist ein Register aufgebaut worden, das Aufschluss über die Versorgung von Netzhauterkrankungen geben soll.

    Ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem in der Augenheilkunde ist die Entwicklung von Ödemen an der Netzhautmitte. Sie entstehen bei Altersbedingter Makula-Degeneration (AMD), Diabetes oder infolge von Gefäßverschlüssen an der Netzhaut. Seit mehr als zehn Jahren werden Makula-Ödeme mit Injektionen in den Glaskörper behandelt. Diese intravitrealen Injektionen (IVOM) gehören mittlerweile zu den häufigsten medizinischen Eingriffen überhaupt und werden rund 1,2 Millionen Mal pro Jahr in Deutschland durchgeführt. „Trotz der weiten Verbreitung wissen wir relativ wenig über die Versorgungspraxis“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Christian Wolfram, der neben seiner Tätigkeit als niedergelassener Augenarzt in der Klinik für Augenheilkunde des UKE den Bereich der Ophthalmologischen Versorgungsforschung vertritt.



    Wie zufrieden sind die Patient:innen?

    „Zentrale Parameter wie die Injektionsfrequenz pro Jahr oder die Häufigkeit von Therapieabbrüchen oder -wechseln sind uns weitgehend unbekannt.“ Auch gebe es kaum empirische Daten zur Patient:innenperspektive und Behandlungszufriedenheit bei IVOM-Therapien, so Wolfram. An der Augenklinik ist deshalb ein Register über die Versorgung der Hamburger Bevölkerung mit intravitrealen Injektionen aufgebaut werden. Ziel ist es, Inanspruchnahme und Versorgungswege in der IVOM-Versorgung zu analysieren, bestehende Wissenslücken zu schließen und daraus relevante Informationen für Patient:innen, Behandler:innen und Entscheidungsträger:innen im Gesundheitswesen bereitzustellen.


  • „Prähabilitation“ für ältere Patient:innen

    Gezieltes Training macht fit für die Operation

    Das Risiko von Komplikationen bei und nach einer Operation ist für ältere Patient:innen deutlich höher als für jüngere. Die Arbeitsgruppe Gerontoanästhesie aus dem Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin entwickelt praktikable Konzepte, um den postoperativen Verlauf bei Patient:innen ab 65 Jahren zu verbessern. Dazu gehört „Trailty“, ein einfaches Trainingsprogramm für zu Hause, bei dem sich altersgebrechliche Patient:innen fit für eine Operation machen. „Wir setzen auf Prähabilitation“, sagt Dr. Cynthia Olotu, die Leiterin des Studienteams. Wer vor der OP Ausdauer, Muskelkraft und Atemmuskulatur gezielt trainiere, komme schneller wieder auf die Beine. „Diese Patient:innen stürzen seltener und mindern ihr Risiko einer Lungenentzündung oder anderer postoperativer Komplikationen“, so die Anästhesiologin.

    Mit Brille und Prothese in den OP

    Im Projekt „PeriAge“ wird ein Bündel praktischer Maßnahmen untersucht: ergänzende Trinknahrung für mangelernährte Patient:innen, kohlenhydrathaltige Getränke zur Vermeidung von präoperativem Stress und unnötiger Nüchternheit sowie eine systematische Aufklärung über Delirprophylaxe und die Einbindung der Angehörigen. Und die Aufforderung, Brille, Hörgerät und Zahnprothese in den OP mitzunehmen. Dadurch soll das Gefühl des Ausgeliefertseins vermieden und das Risiko einer postoperativen Verwirrtheit gemindert werden. Da die Interventionen in Arbeitsabläufe des Klinikalltags eingreifen, wird auch die Akzeptanz bei den Mitarbeiter:innen im laufenden Projekt evaluiert.



  • Langzeiteinnahme gefährdet Gesundheit

    Schlaf- und Beruhigungsmittel: Aufklärung ist nötig

    In Deutschland sind 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen von schlafanstoßenden Medikamenten, insbesondere Benzodiazepinen und sogenannten Z-Substanzen, abhängig. Zum großen Teil sind Frauen und ältere Menschen betroffen, die durch die Einnahme auch gesundheitlich, zum Beispiel im Hinblick auf vermehrte Stürze, gefährdet sind. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts entwickeln Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie zusammen mit dem Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung Aufklärungsmaterial für Betroffene.

    Gesundheitsinformation und Selbsttest entwickeln

    Ziel des Projektes ist die Erstellung zielgruppenspezifischer Gesundheitsinformationen zur Aufklärung über die Einnahme von Z-Substanzen und Benzodiazepinen. Diese sollen Betroffenen und Angehörigen helfen, sich umfassend über Risiken und Nutzen der Medikamente zu informieren. Weiterer Projektbestandteil ist die Entwicklung eines Screeninginstrumentes zur Erfassung einer möglichen Abhängigkeit von Z-Substanzen und Benzodiazepinen. „Die Entwicklung dieser Gesundheitsinformationen und des Fragebogens wird einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung der Gesundheitskompetenz von Betroffenen leisten und Ärzt:innen bei der Beratung sinnvoll unterstützen“, erläutert Medizinpsychologe Prof. Dr. Dr. Martin Härter. Gesundheitsinfo und Selbsttest werden nach Fertigstellung auf der vom UKE betriebenen Webseite www.psychenet.de zur Verfügung gestellt.


  • Silke Wiegand-Grefe vor einem Bücherregal
    Prof. Dr. Silke Wiegand-Grefe
    Leitet das bundesweite Projekt zur psychosozialen Versorgung

    Psychosoziale Versorgung bei seltenen Erkrankungen

    Kinder im Ausnahmezustand

    Wenn Kinder eine seltene Erkrankung haben, leidet die ganze Familie. Ein vom UKE geleitetes bundesweites Projekt soll die Versorgungssituation der belasteten Familien verbessern.

    Als selten gilt eine Krankheit, wenn höchstens fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. In Deutschland leben rund vier Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung, mehr als die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Sie selbst, ihre Eltern und Geschwister sind durch Sorgen, Ängste und den hohen Aufwand, den das Krankheitsmanagement mit sich bringt, oft körperlich und psychisch sehr belastet. So entwickeln bis zu 40 Prozent der Eltern eine Angsterkrankung oder werden depressiv. „Aus Zeitmangel aufgrund der hohen Belastung können die Familien aber kaum die herkömmlichen Angebote an Psychotherapie nutzen“, sagt Prof. Dr. Silke Wiegand-Grefe aus der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik.

    Reden und Schreiben hilft

    Die Versorgungslücke soll das CARE-FAM-NET schließen, ein Verbund aus Forschungseinrichtungen, Krankenkassen, Selbsthilfeorganisationen in Kooperation mit Kinderkliniken in zwölf Bundesländern. Das vom Innovationsfonds geförderte Projekt schafft psychosoziale Versorgungsstrukturen „mit dem Ziel, Kindern mit seltenen Erkrankungen und ihren Familien frühestmöglich psychosoziale Hilfe anzubieten, um die Krankheitsbewältigung zu erleichtern und die Lebensqualität zu erhöhen“, erläutert Projektleiterin Wiegand-Grefe. Zwei Ansätze werden erprobt: eine Familienintervention mit acht Sitzungen sowie eine Onlineintervention, bei der Teilnehmende in einer Schreibtherapie mit Unterstützung geschulter Fachkräfte Schreibaufgaben ausführen. 700 Familien sind an der Studie beteiligt. Bei erfolgreicher Evaluation sollen die neuen Unterstützungsangebote in die Regelversorgung übernommen werden.

  • Arbeitspsychologen evaluieren Beratungsstelle

    Ziel: Psychisch gesund und arbeitsfähig bleiben

    Durch die Zunahme psychischer Belastungen in der Arbeitswelt gewinnen der Erhalt und die Förderung der Gesundheit von Erwerbstätigen eine besondere Bedeutung. Informationen und Beratung in Bezug auf belastende Arbeitssituationen oder betriebliche Gestaltung von Arbeitsbedingungen erhalten Beschäftigte und betriebliche Akteure in speziellen Beratungsstellen. Priv.-Doz. Dr. Stefanie Mache vom Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin untersucht mit ihrer Arbeitsgruppe Nutzen und Wirkung einer kostenlosen Beratungsstelle für Beschäftigte und Betriebsvertreter:innen.

    Beratungsstelle hat Lotsenfunktion für Betroffene

    „Unser Ziel ist es, das Arbeits- und Wirkungsfeld der Beratungsstelle zu analysieren. Dabei untersuchen wir Beratungsanlässe und -umfänge und prüfen, ob die Beratungsstelle die angestrebte Lotsenfunktion erfüllt“, erläutert Psychologin Mache. Im Fokus steht dabei die 2016 gestartete Hamburger Beratungsstelle „Perspektive Arbeit & Gesundheit“ (PAG). Ziel von PAG ist es, die psychische Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten und zu fördern. Beraten werden Beschäftigte in psychisch belastenden Arbeitssituationen und Betriebsvertreter:innen, die mit der gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeitsbedingungen beauftragt sind. „Insgesamt weisen die Evaluationsergebnisse erste positive Nutzentendenzen auf“, sagt die Forscherin. Für Beschäftigte sind Dr. Mache zufolge die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz von besonderer Relevanz, Unternehmen suchten häufig Informationen zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungsfaktoren.

  • Berufsrisiko im Gesundheitswesen

    Hepatitis-C-Infektionen effektiv behandeln

    Beschäftigte im Gesundheitswesen haben ein erhöhtes Risiko für eine Hepatitis-C-Infektion.

    Da eine schützende Impfung fehlt, kommt es darauf an, eine Infektion zu verhindern oder effektiv zu behandeln. Beides gelingt immer besser. „Wir konnten belegen, dass die neuen Therapien auch bei Betroffenen mit fortgeschrittener Infektion sehr erfolgreich und gut verträglich sind“, sagt UKE-Arbeitsmediziner Prof. Dr. Albert Nienhaus vom Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare). Mitarbeiter:innen des CVcare hatten in den vergangenen Jahren Behandlungsdaten der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ausgewertet. Die Forscher:innen wollten wissen, wie gut neue, direkt gegen das Hepatitis-C-Virus gerichtete Medikamente für die Behandlung von im Gesundheitswesen Beschäftigten geeignet sind. Ergebnisse: Die Mehrzahl der Therapien verlief ohne Nebenwirkungen, eine früh einsetzende Behandlung ist sinnvoll.


    Nadelstichverletzungen oft erst nach Prozedur

    Wie eine Analyse von Unfällen durch die Arbeitsmediziner:innen zeigt, können vor allem Schulungen zur sicheren Entsorgung von spitzen Instrumenten – Injektionsnadeln und Autoinjektoren – helfen, das Infektionsrisiko für Beschäftigte im Gesundheitswesen zu senken. Denn etwa die Hälfte aller Nadelstichverletzungen ereignet sich nicht bei der invasiven Prozedur, sondern erst im Anschluss daran bei der Entsorgung der Geräte. Insgesamt, so Nienhaus, ist die Zahl der blutübertragbaren Virusinfektionen im Gesundheitswesen rückläufig.