Das „Multiorganvirus“: Auch Nieren befallen

Interdisziplinäre Forschung erfolgreich

Das neuartige Corona-Virus ist kein reines Atemwegsvirus. Es ist neben der Lunge auch in zahlreichen anderen Organen und Organsystemen zu finden – so zum Beispiel auch in der Niere, wo es für die häufigen Schäden bei einer SARS-CoV-2-Infektion verantwortlich sein könnte.

Ein Porträt-Foto. Prof Huber blickt lächelnd in die Kamera, er trägt eine Brille mit dunklem kleinen Metallgestell.
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Erforscht das Multiorganvirus
Prof. Dr. Tobias Huber, Direktor der III. Medizinischen Klinik

„SARS-CoV-2 ist ein ‚Multiorganvirus‘, das zahlreiche Organe betrifft. Dies könnte ein Erklärungsansatz für das mitunter breite Symptomspektrum sein, das sich bei COVID-19-Erkrankungen zeigt“, sagt Prof. Dr. Tobias B. Huber, Direktor der III. Medizinischen Klinik.
Ein UKE-Forscherteam, bestehend aus Nierenex­per­ten, Mikrobiologen, Rechtsmedizinern, (Neuro-) Pathologen, Intensivmedizinern und Internisten, hatte Autopsie-Ergebnisse von 27 an einer COVID-19-Erkrankung Verstorbenen analysiert. Sie konnten SARS-CoV-2-Erreger in Lunge, Rachen, Herz, Leber, Gehirn und den Nieren nachweisen. Die höchsten Viruskonzentrationen fanden sie in den Atem­wegen, gefolgt von Niere, Herz, Leber und Gehirn.

Nierenversagen gehört bei einer SARS-CoV-2-Infektion
zu den wesentlichen Sterblichkeitsfaktoren.

Prof. Dr. Tobias B. Huber, Direktor der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik

Mitarbeiterinnen mit Alltagsmaske beim Pipettieren, durch eine Glasscheibe blicken Sie auf die Arbeitsfläche
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Im Labor I
Dr. Milagros Wong (l.) und Priv.-Doz. Dr. Maja Lindenmeyer
Die Mitarbeiter Nicola Wanner, im Hintergrund, und Prof Victor Puelles sitzen, in Kittel und Alltagsmaske, an ihrem Labor-Arbeitsplätzen. Vor ihnen jeweils ein Mikroskop und Monitor.
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Im Labor II
Prof. Dr. Victor Puelles (vorn) und Dr. Nicola Wanner

Erreger vermehrt sich 1000-fach in 48 Stunden

In einer weiteren UKE-Studie, in die Analysen von 63 vorwiegend älteren, mit Vorerkrankungen belasteten COVID-19-Verstorbenen eingingen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachgewiesen, dass sich das Virus in den Nieren stark vermehrt. „Es ist uns gelungen, den SARS-CoV-2-Erreger aus der Niere eines verstorbenen Patienten zu isolieren. Innerhalb von 48 Stunden hat er sich in Nierenzellen 1000-fach vervielfältigt. Dies sind Hinweise, dass sich der Erreger auch in anderen Organen als der Lunge aktiv vermehren kann“, erläutert Prof. Dr. Martin Aepfelbacher, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene.

In der Studie konnten die Forschenden auch zeigen, dass der Nachweis von SARS-CoV-2-Erregern in den Nieren von COVID-19-Patienten mit einem erhöhten Risiko für ein akutes Nierenversagen einhergeht: Unter den Patienten mit einem akutem Nierenver­sagen entdeckten die Wissenschaftler bei 72 Prozent der Fälle das Virus in den Nieren. Im Gegensatz dazu fanden sie bei Patienten ohne akutes Nierenversagen nur in 43 Prozent der Fälle den Erreger in den Nieren. „Dies ist ein Erklärungsansatz für das häufige Nierenversagen bei einer SARS-CoV-2-Infektion, das zu den wesentlichen Sterblichkeitsfaktoren zählt“, erklärt Studienleiter Prof. Huber.

Auch in der Nachsorge auf befallene Organe achten

Bereits in der ersten Untersuchung hatten die Forschenden festgestellt, dass sehr viele der Patientinnen und Patienten Auffälligkeiten im Urin haben. Als Konsequenz aus diesen Ergebnissen werden Urinkontrollen bei einer COVID-19-Erkrankung als Routinelabor nun bereits zu Beginn der Erkrankung empfohlen. Weitere Studien von Forscherinnen und Forschern des UKE in Kooperation mit anderen deutschen Kliniken werden zeigen, ob Urinveränderungen als Frühwarnsystem für schwere COVID-19-Verläufe dienen können. „Darüber hinaus wird man auch in der Nachsorge sehr viel sorgfältiger auf Folgeerkrankungen einzelner Organsysteme achten müssen“, so Prof. Huber.

Fotos: Eva Hecht, Dr. Milagros Wong/Dr. Maja Lindenmeyer, Illustration: Björn von Schlippe (Stand: 1. Dezember 2020)