Lernen in der virtuellen Welt


Schriller Alarm, piepende Monitore, sich überschneidende Stimmen – und mittendrin ein Patient, bewusstlos und ohne Puls. Zum Glück ist alles nur Simulation: Medizinstudierende üben mit Virtual-Reality-Brillen (VR)realitätsnahe Notfallsituationen.


Text: Stefanie Gerling, Fotos: Axel Kirchhof, Eva Hecht

Mit VR-Brille
werden die Fähigkeiten im Umgang mit Patient:innen verbessert

Der plötzliche Herzstillstand gehört zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Jede Sekunde ohne adäquate Behandlung verringert die Überlebenschancen. Ärzt:innen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn sie müssen nicht nur medizinisch korrekte Entscheidungen treffen, sondern diese auch klar an das Behandlungsteam kommunizieren – und dabei auch in einer extremen Stresssituation Ruhe bewahren. Um den Studierenden diese Kompetenzen bestmöglich zu vermitteln, setzt das UKE auf den Einsatz von innovativen Lehrkonzepten. Dabei übernehmen Studierende in der Simulation die Rolle der leitenden Ärzt:innen. Sie interagieren mit den Patient:innen, geben Anweisungen, priorisieren Maßnahmen. Alles mit dem Ziel, Handlungsabläufe zu verinnerlichen und Sicherheit zu gewinnen – bevor der echte Notfall im Klinikalltag eintritt.

Im integrierten Modellstudiengang Medizin (iMED Hamburg) am UKE werden theoretische Grundlagenfächer früh mit klinischer Praxis verbunden. Prof. Dr. Parisa Moll-Khosrawi, Oberärztin in der Klinik für Anästhesiologie und Professorin für Medizindidaktik und innovative Lehr- und Ausbildungsstrategien, beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie erlerntes Wissen in tatsächliches Verhalten übergehen und situationsgerecht abgerufen werden kann. Sie leitet die Arbeitsgruppe „AG Lehrforschung“, ein interprofessionelles Team aus Pflegenden und Ärzt:innen.

Zitat Frau Prof. Dr. Parisa Moll-Khosrawi
Zitat Frau Prof. Dr. Parisa Moll-Khosrawi
Zitat Frau Prof. Dr. Parisa Moll-Khosrawi

Mit der Lernspirale Wissen vertiefen

Im sogenannten Advanced Cardiac Life Support (ACLS) werden erweiterte Reanimationsmaßnahmen trainiert, von Thoraxkompressionen über Beatmungstechniken bis hin zur klaren Kommunikation im Team. „Das Thema Reanimation ist fest im Curriculum verankert“, so Moll-Khosrawi. „ACLS begegnet den Studierenden also in verschiedenen Phasen des Studiums, von ersten klinischen Grundlagen bis hin zu komplexen Szenarien in den höheren Semestern, jeweils mit steigendem Anspruch. Innovative Lehrkonzepte wie die VR-Brille helfen uns dabei, Wissen praxisnah zu vermitteln und dies Schritt für Schritt zu stärken.“ Die Simulation mit VR-Brillen ergänzt die Seminare und folgt dabei dem didaktischen Konzept der Lernspirale: Wissen wird nicht nur einmal vermittelt, sondern in aufeinander aufbauenden Stufen weiter vertieft. „Die Studierenden werden Schritt für Schritt angeleitet, sie folgen einem strukturierten Vorgehen nach standardisierten Algorithmen, setzen medizintechnische Geräte, Hilfsmittel und Medikamente gezielt ein und trainieren die Teamkoordination“, erklärt Assistenzarzt Mattis Mandel. „In der anschließenden freien Simulation wenden die Studierenden das Wissen eigenständig an.“

Reanimationstraining

Studierende werden von Prof. Dr. Parisa Moll-Khosrawi und Dr. Malte Isleib in die VR-Technik eingewiesen

Bis zu 12 Studierende können zeitgleich an sie gestellte Aufgaben virtuell lösen
Reanimationstraining

Virtuelle Ausbildung für die klinische Praxis

VR und Praxis kombinieren

Nach dem virtuellen Training wird an der lebensgroßen Simulationspuppe geübt: „Praktische Maßnahmen wie Thoraxkompressionen oder Atemwegssicherung können hier haptisch erlebt werden. Ein wichtiger Schritt, um Sicherheit und Routine zu erlernen“, so Mandel. Aktuell untersucht er im Rahmen seiner Doktorarbeit, zu welchem Zeitpunkt im Medizinstudium die VR-Simulationden größten Lernerfolg erzielt: Früh eingesetzt, um Grundlagen zu verfestigen, oder später, um komplexe Entscheidungssituationen zutrainieren? „Zur Evaluation nutzen wir standardisierte Bewertungsbögen und technische Messdaten der Reanimationspuppen. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse und wollen mit diesen den Unterricht noch praxisnaher gestalten.“ Das Feedback der Studierenden, die die Simulation meist in 12er-Gruppen absolvieren, fällt durchweg positiv aus. Sie berichten, dass sie dank VR und Simulation einen besseren Überblick über die einzelnen Handlungsschritte im Ernstfall bekommen. Tobias Bokowski studiert im 11. Semester Medizin. Für ihn bietet dasTraining einen geschützten Raum zum Lernen und Üben, „ganz ohne Angst vor Fehlern.“ Ähnlich resümiert auch Jasmin Lalia, Studierende im 13. Semester, die Simulation: „Durch das virtuelle Setting in Kombination mit dem Training an den Puppen fühle ich mich so gut wie möglich vorbereitet.“

Neue Prodekanin für Lehre
Über das positive Feedback der Studierenden freuen sich Parisa Moll-Khosrawi und ihr Team. Ihnen geht es darum, den Unterricht an der Medizinischen Fakultät stets zu verbessern und evidenzbasiert zu gestalten. Diese Motivation kann die Professorin bald in neuer Position zur Geltung bringen: Ab dem 1. April 2026 ist sie Prodekanin für Lehre. Gemeinsam mit Prodekan Prof. Dr. Dr. Andreas Guse wird sie den seit 2012 mit großem Erfolg laufenden Modellstudiengang iMED Hamburg Schritt für Schritt weiterentwickeln – mit dem Ziel, neue innovative Lehrkonzepte wie die VR-Simulation dauerhaft in eine zukunftsorientierte und praxisnahe Ausbildung zu integrieren.

Prof. Dr. Parisa Moll-Khosrawi

ist Oberärztin in der Klinik für Anästhesiologie und seit Jahren engagierte Dozentin in der studentischen Ausbildung. Sie hat eine Lehrprofessur und wird 2026 Prodekanin für Lehre an der Medizinischen Fakultät.

Mattis Mandel

ist Assistenzarzt im Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin des UKE. In das VR-Simulationsprojekt ist er stark eingebunden und untersucht dessen Wirksamkeit im Rahmen seiner Promotion.

Mehr Informationen?

Zum Modellstudiengang gibt´s unter uke.de/imed