Ja oder Nein? Jein!

Entscheidungen definieren die Persönlichkeit. Ihre neurobiologischen Grundlagen zu verstehen, könnte bei der Therapie psychischer Störungen helfen. Entscheidungen, so die Wissenschaftler, sollte man nicht unter Stress treffen. Wenn man zweimal in Ruhe zur gleichen Entscheidung komme, dann sei sie meist auch richtig.

„Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein?" Das bekannte Lied der Hamburger Hip-Hop-Gruppe „Fettes Brot" deutet es an: Täglich müssen wir abwägen, das Für und Wider verschiedener Optionen prüfen, um dann, manchmal auch unter Zeitdruck, zu einer Entscheidung zu kommen – oder eben nicht. Was sich in unserem Kopf abspielt, während die Würfel fallen, ist das Forschungsgebiet von Prof. Dr. Tobias Donner. „Das Erforschen von Entscheidungsprozessen ist fundamental für das Verständnis des menschlichen Verhaltens", sagt der stellvertretende Direktor des Instituts für Neurophysiologie und Pathophysiologie. „Entscheidungen prägen unser Leben. Sie bestimmen letztlich, wer wir sind."

Störungen in den Prozessen der Entscheidungsfindung haben daher fundamentale Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. „Bei vielen psychiatrischen Erkrankungen sind vermutlich Teilprozesse des Entscheidungsverhaltens gestört", sagt Tobias Donner. Schizophrene kämen einer Hypothese zufolge vermutlich zu schnell zu Schlussfolgerungen. Fakten würden sie dabei nicht ausreichend berücksichtigen. Depressive seien oft nicht in der Lage, sich zu entscheiden. Und Kinder mit ADHS könnten sich wahrscheinlich nicht auf die Entscheidung konzentrieren, die sie gerade bearbeiten, so der Wissenschaftler.

„In der Psychiatrie haben wir zurzeit eine große Wissenslücke", sagt Tobias Donner. „Die Kliniker sehen zwar, ob sich der Zustand ihrer Patienten nach der Gabe von Psychopharmaka verbessert oder nicht. Es ist aber nicht klar, wie die dadurch ausgelösten molekularen Veränderungen hochwandern auf die Ebene des Verhaltens. Diese Lücke wollen wir schließen." Dazu laden die Hirnforscher Probanden zu Verhaltenstests in ihr Labor. „Wir konstruieren mit mathematischen Modellen, wie der Entscheidungsprozess bei der jeweiligen Aufgabe im Idealfall aussehen sollte und auch, wie er tatsächlich im Gehirn implementiert sein könnte", erklärt Tobias Donner. „Die Modelle vergleichen wir hinterher mit den tatsächlichen Daten, die wir bei den Probanden beobachtet haben."

Die molekulare Ebene der Entscheidungsfindung

Auf diese Weise identifizieren die Forscher Faktoren, die theoretisch bei der tatsächlichen Entscheidung eine Rolle spielen könnten. Die Frage lautet: Welchem biologischen Gegenstück im Hirn entsprechen die Faktoren X oder Y, die man dank der Modelle gefunden hat? „Wir versuchen, diese Variablen mit physiologischen Abläufen im Gehirn, die wir mit bildgebenden Verfahren beobachten, abzugleichen", sagt Donner. Aus diesem Grund messen die Wissenschaftler den Pupillendurchmesser ihrer Probanden. „Es hat sich gezeigt, dass bei konstantem Licht der Pupillendurchmesser vom Aktivierungszustand des Gehirns bestimmt wird." Und der wiederum habe großen Einfluss auf die Entscheidungsfindung.

Stress sei maßgeblich für den Aktivierungszustand des Gehirns, deshalb sollten wichtige Entscheidungen nicht unter Stress gefällt werden, so Donner. „Der alte Ratschlag, noch mal eine Nacht drüber zu schlafen, gilt immer noch."

Text: Arnd Petry
Fotos: Claudia Ketels