Kampf gegen das Zittern
Dumpfe Schläge auf den Sandsack, Boxhandschuhe treffen auf Polster, laute motivierende Rufe: Der Dienstagvormittag in der Parkinson-Tagesklinik klingt anders als erwartet. Zeit fürs Kickboxen! Die Teilnehmenden sind nicht etwa Profis, sondern Parkinson-Patient:innen. Sie haben gelernt, ihrer Erkrankung nicht kampflos das Feld zu überlassen.
„Das Bein in Kampfstellung und gleichzeitig den Arm ganz durchstrecken“, gibt Parkinson-Nurse Beate Schönwald klare Anweisungen. Sie bietet das Training einmal pro Woche an; es ist ein für viele Betroffene wichtiger Baustein im multimodalen Therapiekonzept der Parkinson-Tagesklinik des UKE. „Wir wissen, dass Bewegung unseren Patient:innen gut tut und regelmäßige körperliche Aktivität die Erkrankung positiv beeinflussen kann“, erläutert Schönwald.
Parkinson ist eine chronische neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Dabei sterben Nervenzellen, die den wichtigen Botenstoff Dopamin produzieren, frühzeitig ab. Die Folge sind Defizite des Bewegungsapparates mit typischen Symptomen wie Zittern, Muskelsteifheit, Instabilität und Gleichgewichtsproblemen. Die Erkrankung verläuft bei jedem Menschen unterschiedlich und ist bisher nicht heilbar – aber gut behandelbar. Die Therapieformen reichen von Medikamenten bis hin zu operativen Verfahren.
Viel mehr als nur Sport
Die Idee zum Kickbox-Training für Parkinsonerkrankte kam Beate Schönwald 2019, als sie selbst mit dem Sport begann. „In den USA gibt es das Programm Rock Steady Boxing schon länger als Therapieoption für Parkinson-Patient:innen. Und so kam mir die Idee, das Angebot auch für Patient:innen im UKE anzubieten.“ Mittlerweile hat es sich in der Parkinson-Tagesklinik gut etabliert – obwohl die Patient:innen anfangs skeptisch sind und sich das Training nicht zutrauen. „Am Ende sehe ich aber immer strahlende Gesichter“, freut sich Schönwald. „Es ist beeindruckend, was Bewegung auslösen kann und wie die Erkrankung für einen Moment in den Hintergrund rückt.
“Beate Schönwald arbeitet seit 2015 im Bereich Parkinson und absolvierte eine Weiterbildung zur Parkinson-Nurse. In der Tagesklinik unterstützt sie bei der Erhebung der Anamnesen, führt Testungen durch, berät bei Therapieoptionen und ist Ansprechpartnerin für Angehörige. Viele der Patient:innen kennt sie seit zehn Jahren und ist eine wichtige Bezugsperson für sie.
Für die Parkinsonerkrankten hat das Training vor allem positiven Einfluss auf das Gangbild, das Gleichgewicht und die Koordination. Das Sturzrisiko kann sinken. Doch neben den körperlichen Effekten „geht es auch um die Gruppendynamik, die viele motiviert. Wir kämpfen alle gemeinsam, niemand gibt auf“, lächelt die 52-jährige, die mittlerweile einen Braungurt im Kickboxen hat und den Schwarzgurt anstrebt.
„Würde es Beate nicht geben, müsste man sie erfinden“
Während des Trainings, das etwa eine Stunde dauert, werden Kickbox-Elemente mit funktionellen Bewegungen kombiniert. „Dazu gehören Schlagkombinationen mit den Händen, aber auch Kicks aus dem Stand, Seitwärtsschritte und Richtungswechsel“, erklärt Beate Schönwald. Diese Bewegungsabläufe trainieren besonders die Koordination der Muskeln, die durch die Erkrankung ansonsten stetig nachlässt.
Heike Brietzke ist das zweite Mal dabei. Die 54-Jährige hat früher selbst viel Sport gemacht, ehe die Erkrankung sie immer weiter ausbremste. „Nach dem Training geht es mir direkt viel besser – auch mental“, so die Hamburgerin. „Würde es Beate und ihr Kickbox-Training nicht geben, müsste man sie erfinden“, schmunzelt sie.
Am Ende der Einheit atmen die Teilnehmenden tief durch, einige von ihnen sind richtig ins Schwitzen geraten. Die Übungen waren anstrengend, aber wohldosiert und für alle machbar – und sie haben für Abwechslung gesorgt und allen großen Spaß bereitet. Mit viel Bewegung, medizinischer Begleitung und harmonischer Gemeinschaft kann auch eine chronische Erkrankung gezielt bekämpft werden – Schlag für Schlag.
Die Parkinson-Tagesklinik
Die Tagesklinik wurde bereits 2016 als zusätzliche Behandlungsmöglichkeit für Patient:innen eröffnet, für die ein ambulanter Termin nicht ausreichend, eine stationäre Behandlung aber (noch) nicht notwendig ist. Innerhalb von drei Wochen besteht für fünf Tage die Möglichkeit, mit ausreichend Zeit die individuellen Probleme der Patient:inen zu erfassen und einen auf sie zugeschnittenen Therapieplan zu erstellen. Dies betrifft etwa eine optimierte Einstellung der Medikation.
„Neben den medikamentösen liegt auch ein Fokus auf begleitenden nicht-medikamentösen Therapien; das Kickbox-Training ist dabei für eine Reihe von Patient:innen ein wertvoller Baustein“, erläutert Prof. Dr. Carsten Buhmann, Ärztlicher Leiter der Tagesklinik. In der Tagesklinik werden die Patient:innen von einem interdisziplinären Team aus Ärzt:innen, Parkinson-Nurses, Psycholog:innen, Musiktherapeut:innen, Logopäd:innen, Ergo- und Physiotherapeut:innen sowie assoziierten Mitarbeitenden mit dem Schwerpunkt Parkinson versorgt.