„Die Corona-Pandemie übersteigt wirklich alles“

Saskia Wagner (40) ist Gesundheits- und Krankenpflegerin im UKE und hat Schweinegrippe, EHEC und Ebola mitgemacht. Die Herausforderungen für die Pflege sind in der aktuellen Zeit noch größer, sagt sie.

„Seit die Ambulanz für akute Atemwegsinfekte eröffnet ist, bin ich dabei; nach unserem Umzug auf dem Gelände habe ich auch die Koordination übernommen. Insbesondere in der ersten Zeit Anfang März sind wir geradezu überlaufen worden von Menschen, die sich auf eine Coronainfektion testen lassen wollten; die Schlange reichte von unserem Gebäude beinahe bis zum Haupteingang vor O10. Als die Welle aus dem Skiurlaub in Tirol zurückkam, haben wir an einem Tag 165 Menschen getestet, das war unglaublich!

Oft müssen wir allerdings auch Leute wieder wegschicken. Wir testen nur Patienten mit Fieber und grippeähnlichen Symptomen, die Kontakt mit einem Infizierten hatten oder aus einem vom RKI definierten Risikogebiet zurückgekehrt sind. Das haben viele Menschen, die nur Husten oder Schnupfen hatten, nicht eingesehen. Da gab es einige schlimme Szenen und endlose Diskussionen. Ich kann ja gut verstehen, dass sie Angst vor einer Infektion haben; in den Medien wird diese Angst ja auch geschürt. Aber wir können natürlich nicht bei allen „nur“ Erkälteten einen Abstrich machen, dies würde alle verfügbaren Ressourcen übersteigen.

Teströhrchen und Wattestäbchen für den Abstrich, der bei Patienten mit Verdacht auf eine COVID-19-Erkrankung gemacht wird

Teströhrchen und Wattestäbchen für den Abstrich, der bei Patienten mit Verdacht auf eine COVID-19-Erkrankung gemacht wird
Mit einem Wattestäbchen wird eine Probe aus der Nasenhöhle genommen

Ebenfalls symbolhaft dargestellt: Die Probenentnahme aus der Nasenhöhle
Im Gehörgang eines Mannes wird die Körpertemperatur gemessen

Auch die Messung der Körpertemperatur - hier symbolhaft dargestellt - gehört zur Untersuchung dazu

Ich bin seit 2008 im UKE, habe Schweinegrippe, EHEC und Ebola mitgemacht. Aber die Corona-Pandemie übersteigt wirklich alles. Auf der einen Seite habe ich ein mulmiges Gefühl, weil ich mich natürlich selbst nicht anstecken möchte. Auf der anderen Seite ist es arbeitstechnisch gerade auch eine sehr spannende Zeit. Für die weitere Entwicklung der Pandemie ist es unglaublich wichtig, dass alle Patienten ausreichend versorgt werden. Im UKE sind wir personell gut aufgestellt und können die Situation aktuell gut meistern, aber insgesamt stößt die Pflege bei einer solchen Herausforderung natürlich an ihre Grenzen. Alle, die bisher nichts mit Krankheit und Klinik zu tun hatten, sehen inzwischen die große Bedeutung der Pflege. Wir hoffen, dass auch die Politik endlich aufwacht und der Pflege mehr Gewicht verleiht.

Normalerweise arbeite ich im Allgemeinpflegepool, habe viele verschiedene Stationen und Bereiche kennengelernt. Als es mit den Corona-Infektionen losging, hat mich meine Chefin Frau Plock gefragt, ob ich die Arbeit in der Ambulanz unterstützen will, zunächst mal für eine Woche, hieß es. Ich teile mir die Aufgaben mit Bastian Bessert aus der Zentralen Notaufnahme. Aus dem Pflegebereich haben wir viele Kolleginnen aus dem Epidemiologischen Studienzentrum, die normalerweise die Probanden der Hamburg City Health Study (HCHS) betreuen, die jetzt natürlich auch auf Eis liegt.

Erschreckend finde ich, wie sorglos nach wie vor viele Menschen leben.

Bei mir um die Ecke an der Osterstraße in Eimsbüttel sitzen haufenweise Leute draußen und essen Eis. Ich finde es auch nicht toll, in der Wohnung zu bleiben und meine Familie nicht besuchen zu dürfen, aber diese Menschen verstehe ich nicht. Auf der einen Seite haben sie Angst, auf der anderen treffen sie sich immer noch in Rudeln.“

Aufgezeichnet von Uwe Groenewold, Fotos: Axel Kirchhof (Stand: 30. März 2020)