Wenn Schmerzen und Sorgen den Tag prägen

Zwischen Psyche und Körper gibt es sehr viele Wechselwirkungen. So können langanhaltende Belastungen und psychischer Stress zu körperlichen Krisen führen. Körperliche Schmerzen und Einschränkungen durch Unfälle oder Vorerkrankungen können wiederum Depressionen auslösen. Mehr dazu im Interview mit Prof. Dr. Bernd Löwe, dem Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im UKE .

Herr Prof. Löwe, was passiert bei einer psychosomatischen Erkrankung zwischen Körper und Psyche?

Prof. Dr. Bernd Löwe: Betroffene einer Depression bewerten Körpersignale durch ihre in der Regel negativ getönte Wahrnehmung häufig sehr intensiv und ängstlich. Zudem wird in vielen Fällen einer solchen Erkrankung körperliche Aktivität vermieden, wodurch die körperliche Belastbarkeit weiter abnimmt. Oft sind aber auch umgekehrt zunächst Körperbeschwerden vorhanden, etwa im Rahmen von bekannten Erkrankungen, oder auch uneindeutige funktionelle Beschwerden. Durch diese belastenden Körperbeschwerden entsteht in vielen Fällen erheblicher Stress und Leidensdruck. Oft schämen sich die Betroffenen auch bezüglich ihrer reduzierten Funktionsfähigkeit und schränken sich in Bezug auf ihre körperliche Aktivität weiter ein.

Wann ist eine Depression mit anhaltenden Körperbeschwerden so schwer, dass eine stationäre Aufnahme erfolgen sollte?

Grundsätzlich sollte an eine stationäre Behandlung gedacht werden, wenn die Symptomatik so schwer ist, dass der Alltag mit Arbeit, Versorgung von Familie und so weiter nicht mehr bewältigt werden kann, wenn schon längere Krankschreibungen ohne Besserung der Symptomatik erfolgt sind oder wenn sich die Symptomatik kontinuierlich weiter verschlechtert. Auch wenn eine bisherige ambulante psychotherapeutische oder medikamentöse Behandlung nicht zu einer durchgreifenden Besserung geführt hat, kommt eine stationäre Behandlung infrage. Unbedingt sollte eine stationäre Behandlung eingeleitet werden, wenn der Lebenswille verloren gegangen ist und sich Todeswünsche oder suizidale Impulse aufdrängen. Ein Alarmsignal, das Betroffene selbst erkennen können, ist zum Beispiel, wenn die Sorgen bezüglich der belastenden Körpersymptomatik überhandnehmen und einen großen Teil des Tages besetzen, kaum mehr andere Gedanken möglich und nur noch negativ getönte Gedanken vorhanden sind.

Wie gehen Sie die stationäre psychosomatische Therapie bei Depressionen mit anhaltenden Körperbeschwerden an?

Ein wichtiger Faktor der stationären Therapie ist, dass Betroffene für diese Zeit aus ihrer gewohnten Umgebung herausgenommen sind und mit professioneller Unterstützung quasi aus einer Vogelperspektive auf ihre Belastungen, ihre Muster und ihren Umgang mit den Symptomen schauen können. Entlastend kann es sein, in den Gruppentherapien wahrzunehmen, dass andere Menschen ähnliche Erfahrungen machen. In den Einzelbehandlungen durch Psychotherapeut:innen, Ärzt:innen, das Pflegeteam und Spezialtherapeut:innen werden die individuellen Probleme verstehbar und Änderungsprozesse können in Gang gesetzt werden.

Was sind Auslöser für Depressionen und belastende Körperbeschwerden?

In vielen Fällen sind psychische oder körperliche Krisen die Folge von psychischem Stress, Verlusterlebnissen, langanhaltenden Belastungen oder Traumatisierungen. Auch körperliche Auslöser wie Unfälle oder Vorerkrankungen können eine negative Entwicklung in eine Depression nehmen. Diese Auslösefaktoren sind nicht isoliert zu sehen, sondern sie treffen auf Individuen, die ihre spezifischen Dispositionen mitbringen. Unsere jeweilige biologische, psychische und soziale Ausstattung führt dann dazu, dass die Beschwerden anhalten oder wir sie gut bewältigen können.

Was hat sich durch die Corona-Pandemie in Bezug auf psychosomatische Störungen verändert?

Betroffene sind in den vergangenen zwei Jahren der Pandemie aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Krankheitserreger häufig verspätet zu uns gekommen. Das gilt sowohl für die ambulante Behandlung in unserer Poliklinik wie auch die Behandlung auf unserer psychosomatisch-psychotherapeutischen Station. In diesen Fällen ist wichtige Zeit für die Heilung verloren gegangen. Denn je früher wir bei psychosomatischen Beschwerden behandeln können, desto günstiger ist dies für die Prognose – wobei es grundsätzlich nie für eine Behandlung zu spät ist. Viele Menschen sind durch die Folgen der Pandemie auch vereinsamt und ihre Beschwerden sind niemandem in ihrem sozialen Umfeld aufgefallen. Ich möchte Betroffene ermuntern, sich ohne zu zögern in Behandlung zu begeben, sodass wir ihnen direkt und nachhaltig helfen können.

Wann spricht man von Heilung?

Wir sprechen eigentlich lieber von einem Heilungsprozess, der sich durch einen kontinuierlichen Gewinn an Lebensqualität bei den Betroffenen zeigt, dadurch, dass sie nicht mehr ständig an ihre belastende Körpersymptomatik denken, dass sie den Kopf wieder frei bekommen für andere Dinge des Lebens, dass sie ihre Leistungsfähigkeit steigern und die Gemeinschaft mit anderen wieder genießen können. Es ist gar nicht das Ziel einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlung, komplett frei von jeder Symptomatik zu werden. Psychische und körperliche Symptome gehören zu unserem Leben dazu und haben in vielen Fällen auch eine wichtige Signal- oder Alarmfunktion für uns.

Interview: Katja Strube; Foto: Eva Hecht

In der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie erfahren Sie mehr über Behandlungsmöglichkeiten.