Wachsmoulage eines Mädchens mit der Diagnose "Impetigo contagiosa"
Moulage Diagnose "Impetigo contagiosa", um 1935
"Ein Artefakt, das zeitgebunde Vorstellungen transportiert."

"Naturgetreue Objekte" im Spannungsfeld zeitgenössischer medizinischer Wissenschaft und Repräsentationsformen

Kooperatives Forschungsprojekt, gefördert durch die VolkswagenStiftung - Förderinitiative "Forschung in Museen"

Projekteiter: Prof. Dr. Heinz-Peter Schmiedebach

Mitarbeiter/innen: Dr. Victoria Asschenfeldt, Henrik Eßler M.A.

Konzept und Mitarbeit (2012/2013): Dr. Antje Zare

Als medizinische Lehr- und Forschungsobjekte, aber auch als Exponate populärwissenschaftlicher Ausstellungen haben Moulagen in jüngster Zeit verstärkt das Interesse der kultur- und wissenschaftshistorischen Forschung geweckt. Moulagen (frz. mouler - etw. abformen) sind Nachbildungen von Krankheitsbildern auf dem Körper. Im 19. Jahrhundert etablierte sich diese Objektgattung insbesondere im neu konstituierten Spezialfach der Dermatologie. Im Kontext einer "hygienischen Volksaufklärung" erlangten diese im 20. Jahrhundert gar gesellschaftspolitische Bedeutung, z.B. im Rahmen von Wanderausstellungen.

Auf Gipsabdrücken realer Patientinnen und Patienten beruhend, wird Moulagen ein "Zwitter-Status" zugeschrieben: Als "naturgetreues" Abbild repräsentieren sie das Individuum, als Lehr- und Forschungsmodell das "Charakteristische" einer Krankheit. Nicht selten von Bildenden Künstlern gefertigt, erlebten diese Objekte ihre Blütezeit an der Wende zum 20. Jahrhundert - ausgerechnet in eben jener Epoche der Wissenschaft, die eigentlich dem mechanischen, scheinbar objektiven Bild gehörte.

Das Forschungsprojekt sieht einerseits eine medizin- und kulturhistorische Kontextualisierung der aus 600 Wachsmoulagen bestehenden Sammlung des Medizinhistorischen Museums Hamburg vor. Dabei sollen medizinische, wissenschaftliche, kulturelle, soziale, politische und künstlerische Aspekte dieser speziellen Objekte aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Im Vordergrund stehen Fragen nach der zeitgenössisch-ästhetischen Kontextualisierung der Moulage sowie ihrer jeweiligen Bedeutung aus historisch-epistemologischer Sicht. Die Untersuchung soll sich im Spannungsfeld des Dreiecks Arzt-Mouleur-Moulage bewegen. Thematisch und methodisch gliedert sich das Vorhaben in drei zusammenhängende Untersuchungsbereiche:

1. Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte der Hamburger Moulagensammlung: Dabei steht die bisher weitgehend unbekannte Entstehungs- und Nutzungsgeschichte der aus verschiedenen Sammlungsteilen und Provenienzen bestehenden Sammlung des Medizinhistorischen Museum Hamburg im Fokus.

2. Kontextualisierung-Repräsentation-Ästhetik von Moulagen verschiedener europäischer Sammlungen: Die Moulage wird als epistemisches Objekt im Geflecht von Wissenschaft, Kunst, Pädagogik und medizinischer Praxis im Spannungsfeld wissenschaftlicher Ansprüche und ästhetischer sowie didaktischer Kontexte und Einflüsse untersucht.

3. Beruf Moulagenbildner/in, aus sozial- und wirtschaftshistorischer Perspektive: Die Lebensläufe ausgewählter Moulagenbildner/innen werden im Rahmen einer kollektivbiographischen Studie nachgezeichnet und analysiert, um etwa Aussagen über Ausbildung, soziale Herkunft oder politisch-ideologische Einstellung treffen zu können.

Im Rahmen des Forschungsprojektes fand im Medizinhistorischen Museum Hamburg in Kooperation mit dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité am 4.-5. März 2016 eine Internationale Tagung statt. Erfahren Sie mehr: "Naturgetreue Objekte", Tagung 2016 !