Mit Sicherheit

Die Welt wartet ungeduldig auf einen Impfstoff gegen das neuartige Corona-Virus. Auch im UKE wird seit Oktober ein Impfstoffkandidat getestet. Ein Team aus UKE und Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin mit Prof. Dr. Marylyn Addo an der Spitze treibt die Entwicklung des von großer medialer Auf­merksamkeit begleiteten Projekts voran.

Prof. Dr. Marylyn  Addo blickt freundlich in die Kamera, sie sitzt neben dem Arbeitstisch, stützt lässig den Ellenbogen auf. Sie trägt eine blauen Schutzkittel und lila Handschuhe
Lupe zum Vergrößern des Bildes
Ärztin und Forscherin
Infektiologin Prof. Dr. Marylyn Addo

Die Welt muss noch ein bisschen warten: Marylyn Addo, im November beim German Medical Award als „Medizinerin des Jahres“ ausgezeichnet, tritt erstmal auf die Bremse. „Sicherheit geht vor
Geschwindigkeit! Wenn wir gesunde Menschen impfen wollen, müssen die Sicherheitsmaßstäbe
extrem hoch sein“, sagt die Leiterin der Sektion Infektiologie der I. Medizinischen Klinik. Und das gelte nicht nur für SARS-CoV-2. Das gelte grundsätzlich: „Wenn es Zweifel an der Sicherheit des Impfstoffs gibt, ist das schlecht für das gesamte Thema Impfen.“

Die Ärztin, die mit ihrem Team um Dr. Christine Dahlke und Dr. Anahita Fathi in den vergangenen Jahren schon an der erfolgreichen Entwicklung von Impfstoffen gegen Ebola und das MERS-Corona-Virus beteiligt war, verweist auf die Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese hatte im Jahr 2019 die zehn größten Gesundheitsbedrohungen für die Menschheit aufgelistet: Darunter – neben einer möglichen Grippe-Pandemie, dem Klimawandel, der Luftverschmutzung, steigenden Antibiotika-Resistenzen oder HIV – die Impfmüdigkeit der Menschen. „Das ist alarmierend“, sagt sie. „Wirksame Impfstoffe sind Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden.“ Denn neben der Bereitstellung von sauberem Trinkwasser gebe es weltweit keine Gesundheitsmaßnahme, die mehr Leben gerettet habe als das Impfen. „In Deutschland zum Beispiel kennen wir praktisch keine Polio-Gelähmten oder Masern-Tote mehr.“

(v.l.): Dr. Christine Dahlke, Prof. Dr. Marylyn Addo, im Vordergrund, und Dr. Anahita Fathi stehen au feiner Wendeltreppe in einer Bibliothek und blicken lächelnd in die Kamera
Lupe zum Vergrößern des Bildes
Teamarbeit
Dr. Christine Dahlke, Prof. Dr. Marylyn Addo, Dr. Anahita Fathi

Klinische Prüfung seit Oktober

Begonnen mit der klinischen Prüfung des neuen Impfstoffs haben die Internistin und ihr Team Anfang Oktober. Kurz zuvor hatten das Paul-Ehrlich-Institut, das für Impfstoffe zuständige Bundesin­stitut, und die Ethikkommission der Ärztekammer Hamburg grünes Licht gegeben. In der ersten Phase wurde 30 gesunden Freiwilligen im Alter zwischen 18 und 55 im medizinischen Auftragsinstitut CTC North am UKE der Test-Impfstoff „MVA-SARS-2-S“ verabreicht. Nachdem die Frauen und Männer erstmals den Impfstoff erhalten hatten, kamen sie in den nachfolgenden Wochen regelmäßig zur Blut­abnahme und für Gesundheits-Checks in die Klinik, bevor es nach vier Wochen die zweite Dosis gab. „Wir prüfen zunächst, ob es Nebenwirkungen gibt. Und wenn ja, welche und wie häufig sie auftreten“, erläutert Prof. Addo. Sind die Ergebnisse vielversprechend, wird in der zweiten Phase der klinischen Erprobung der Impfstoff etwa 600 Frauen und Männern verabreicht, im UKE und an verschiedenen weiteren Standorten in Deutschland.

Wie reagiert das Immunsystem auf die Impfung?

Neben der Sicherheit geht es insbesondere um die Wirksamkeit des Impfstoffs, der von Partnern aus dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) gemeinsam mit einem industriellen Impfstoffhersteller entwickelt wurde. Wie reagiert das Immunsystem auf die Impfung? Kommt es zur Bildung von Antikörpern oder T-Zellen, die spezifisch auf Oberflächenproteine des Corona-Virus reagieren? Gibt es Effekte, die gegen den Einsatz des Impfstoffs sprechen? „Bei den SARS-CoV-2-Impfstoffen wurde über eine von Antikörpern vermittelte Verstärkung der Infektion diskutiert“, erklärt Marylyn Addo. „Das müssen wir uns genau anschauen.“ Von besonderem Interesse sei auch, ob die „T-Zell-Antwort in eine bestimmte Richtung polarisiert“ sei. Sprich: Werden mehr T-Helferzellen der Unter­gruppe 1 oder 2 gebildet? „Ein hoher Anteil an TH1-Antworten ist Beobachtungen an Tiermodellen zufolge ein günstiger Faktor“, so Addo.

Prof Marylyn mit einem Mitarbeiter des BNI. Sie tragen weiße Kittel und Alltagsmasken. Beide blicken auf ein technisches Gerat, das der Mitarbeiter gerade betätigt.
Lupe zum Vergrößern des Bildes
Wichtiger Austausch
Prof. Addo im Labor mit Doktorand Etienne Bartels

Frauen mit stärkeren Immunantworten als Männer

Für die ausgezeichnete Wissenschaftlerin ist es eine Selbstverständlichkeit, die Gelegenheit zu nutzen, um zusammen mit ihrem Team über den Tellerrand der klinischen Impfstoffprüfung hinauszublicken. „Wir haben ein wissenschaftliches Begleitprogramm, das unter anderem vom DZIF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.“ Darin geht es um grundsätzliche Fragen.

Im Fokus ihres Interesses steht ein Phänomen, das bei manchen zugelassenen Impfstoffen beobachtet wurde: „Frauen zeigen stärkere Immunantworten als Männer. Das geht beim Impfstoff gegen Influenza so weit, dass man bei Frauen schon mit der Hälfte der Impfstoffmenge die gleiche Antikörperantwort auslösen kann.“

Wir bekommen unser altes Leben nicht sofort wieder zurück.
Aber wirksame Impfstoffe werden dazu beitragen, dass wir zu einem neuen Normal gelangen.

Prof. Dr. Marylyn Addo, I. Medizinische Klinik

Andere Forschungsfragen betreffen den Impfstoff „MVA-SARS-2-S“ selbst, der ein sogenannter Vektor-Impfstoff ist. Bei diesen Impfstoffen dient ein seiner krankmachenden Wirkung beraubtes Pockenvirus – das Modified-Vaccinia-Ankara-Virus (MVA) – als Transportbehälter (Vektor) für die Gene des Erregers, gegen den der Impfstoff schützen soll. Dieser Baukastenaufbau ist ein Grund für die rekordverdächtig schnelle Entwicklung des aktuellen Impfstoffs. Denn die Forschenden mussten Anfang des Jahres nicht bei Null anfangen. Marylyn Addo und ihr Team kennen den Vektor MVA bereits seit Beginn ihrer Studien am MERS-Coronavirus-Impfstoff im Jahr 2014. Wie er im Detail wirkt, ist allerdings noch nicht ganz klar: „Uns interessiert insbesondere, was diese viralen Vektoren mit dem Immunsystem machen und wie wir eine gute Antikörperantwort erreichen können.“

Hoffnung auf hohe Schutzwirkung

Was am Ende dabei herauskommen wird? Im besten Fall ein sicherer und wirksamer Impfstoff, der für eine breite Anwendung zugelassen wird. Der ähnliche Impfstoff für MERS-Corona sei sehr gut vertragen worden, so Prof. Addo. Mit „besorgnis­erregenden Sicherheitssignalen“ sei daher jetzt nicht zu rechnen. Wie stark allerdings die Wirksamkeit sei, ließe sich noch nicht genau abschätzen: „Für respiratorische Erreger hatten wir bislang noch keine so exzellenten Impfstoffe“, erklärt sie. „Aber die ersten Wirksamkeitssignale aus den weiteren, aktuell laufenden Phase-3-Impfstoffstudien sind sehr vielversprechend.“ Sichere und wirksame Impfstoffe werden ein wichtiges Element in der Pandemiebekämpfung sein und helfen, die Zahl der weltweiten COVID-19-Fälle zu senken, davon ist Prof. Addo überzeugt. „Es muss uns aber klar sein, dass wir unser altes Leben nicht sofort wieder zurückbekommen. Aber wirksame Impfstoffe werden dazu beitragen, dass wir zu einem neuen Normal gelangen.“

Text: Arnd Petry, Fotos: Axel Kirchhof, Illustration: Björn von Schlippe (Stand: 1. Dezember 2020)

Gedruckte Exemplare der neuen Ausgabe von wissen+forschen können Sie kostenfrei bestellen. E-Mail mit Ihrer Adresse an redaktion@uke.de genügt.