Hilfe finden, Hürden meistern

Psychische Erkrankungen sind kein Phänomen der Erwachsenenwelt, das zeigt insbesondere die anhaltende Corona-Pandemie. Viele Kinder und Jugendliche leiden, ohne dass ihnen adäquat geholfen wird. Die UKE-Forschungsgruppe „Child Public Health“ sucht in Studien wie der COPSY-Studie nach Gründen und Lösungen.


Rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind psychisch auffällig, doch nur jedes dritte Kind mit klinisch relevanten Symptomen wird adäquat versorgt. Das ist das Ergebnis der im UKE durchgeführten BELLA-Studie, der europaweit größten Langzeitstudie zur psychischen Gesundheit und medizinischen Versorgung von Kindern. Seit 2003 untersucht die Forschungssektion „Child Public Health“ der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut bundesweit in über 18.000 Familien die Gesundheit sowie die Hindernisse, fachspezifische Versorgung bei psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen in Anspruch zu nehmen.


Viele Eltern sind verunsichert

Wo liegen die Hürden und wie kann man sie überwinden? „Einen entscheidenden Einfluss haben die Eltern, da sie häufig den ersten Kontakt zu Fachärzt:innen und Therapeut:innen herstellen“, betont Forschungsleiterin Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer. Viele Eltern seien verunsichert: Ist mein Kind überhaupt krank und braucht Hilfe? Wenn ja, wo finde ich diese? Die Studie zeigt: Eltern und Kinder benötigen eine bessere Aufklärung über psychische Erkrankungen und klare Informationen über Wege in die Versorgung.

Auch die Angst vor Stigmatisierung hindert häufig daran, fachliche Hilfe aufzusuchen. Daneben spielen die soziale Herkunft und Größe des Wohnortes eine entscheidende Rolle. Ein Gefälle, das die Corona-Pandemie weiter verstärkt hat, wie die COPSY-Studie (Corona und Psyche) belegt. In zwei Durchgängen 2020 und 2021 befragten die UKE-Forschenden mittels Online-Fragebogen mehr als 1000 Kinder und Jugendliche in Deutschland zu ihrer seelischen Gesundheit und ihrem Wohlbefinden sowie mehr als 1600 Eltern, um psychische Auswirkungen der Corona-Pandemie aufzudecken. Fast jedes dritte Kind litt ein knappes Jahr nach Pandemiebeginn unter psychischen Auffälligkeiten. Besonders betroffen waren Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund. „Wir brauchen dringend Konzepte, um Kinder aus Risikofamilien besser zu unterstützen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie zu den Verlierer:innen dieser Pandemie werden“, mahnt Prof. Ravens-Sieberer.

Unter allen Befragten nahmen Ängste und Sorgen sowie psychosomatische Beschwerden wie Niedergeschlagenheit oder Kopf- und Bauchschmerzen zwischen erster und zweiter Befragung deutlich zu. Auch das Gesundheitsverhalten verschlechterte sich und die Kinder berichteten über schulische Probleme. Im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) wird mit COVerCHILD 2022 ein neues Netzwerk unter UKE-Leitung eingerichtet, das die Kindergesundheit in der Pandemie intensiver beleuchten will.


Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit

Um Kinder und Jugendliche in Gesundheitsfragen besser zu unterstützen, wurde das UKE außerdem im März 2021 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Standortkoordinator des neuen Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendgesundheit ausgewählt, Leiterin ist Prof. Dr. Ania C. Muntau, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Auch Kliniken in Berlin, Göttingen, Greifswald, Leipzig, München und Ulm gehören dem Verbund an. „Wir sind froh, dass wir in dem neuen Zentrum sowie im Netzwerk Universitätsmedizin einen Beitrag zur Erforschung der psychischen Gesundheit und Versorgung von Kindern und Jugendlichen leisten können“, betont Prof. Ravens-Sieberer.

Text: Nicole Sénégas-Wulf, Foto: Axel Heimken