SMADS
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SMADS

Selbstmanagementförderung bei Patienten mit angstbedingten, depressiven und somatoformen Störungen in der Primärversorgung

Thomas Zimmermann, Egina Puschmann, Sarah Porzelt, Annette Ernst, Martin Scherer

Projektbeschreibung

Hintergrund: Patientinnen und Patienten mit psychischen Beschwerden werden in der Regel mit ihrer Symptomatik zunächst bei ihrer Hausärztin oder ihrem Hausarzt vorstellig. Oft werden sie über lange Zeit kontinuierlich und/oder ausschließlich von den niedergelassenen Allgemeinärzte/-innen versorgt. Aufgrund der Arbeitsdichte im Praxisalltag fehlt den Behandler/innen häufig die Zeit, um die kommunikationsintensive Diagnostik und die weitere Begleitung der Patient/innen in der notwendigen Intensität vornehmen zu können.

Zielsetzung:In diesem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt ist erprobt worden, ob die Mitarbeit einer geschulten Beratungskraft (Gesundheits- und Kranken-Pfleger/innen) in einem Tandem-Modell (Collaborative Care) mit dem Hausarzt/der Hausärztin die Primärversorgung dieser Patient/innen verbessert. Ziel der Beratungsarbeit direkt vor Ort war a) eine Stärkung der Selbstmanagementfähigkeiten der Patient/innen und ihres Umfeldes im Umgang mit den psychischen Beschwerden und b) die Wahrnehmung von Case Management-Aufgaben, um bspw. weitere Spezialist/innen und andere soziale Dienste, Beratungsstellen, Rentenversicherungsträger einzubeziehen.

Design: Die Fragestellung, ob ein solches Kooperationsmodell funktioniert, wird in einer kontrollierten Vergleichsstudie untersucht. 10 Hausarztpraxen im Interventionsarm und 10 Hausarztpraxen im Kontrollarm werden hinsichtlich verschiedener Parameter (Patienten-Outcomes wie Selbstwirksamkeit, Verringerung der psychischen Belastung; Setting-Outcomes wie die Qualität der Kooperation, Konflikte und Synergien im Praxissetting) verglichen. Der Einschluss der Patienten begann im März 2013 und endete im Juni 2014. Die Nachbeobachtung der Patient/innen dauerte bis 30.06.2015. Jeder Interventionspraxis standen die Beratungskräfte für 12 Monate zur Verfügung. Den Hausarztpraxen im Kontrollarm standen, wenn gewünscht, die Beratungskräfte im Anschluss an die 12-Monats-Kontrollgruppenphase für die Versorgung der Patient/innen zur Verfügung.

Ergebnisse:

Rekrutierung der Praxen: Voraussetzung für die Teilnahme war, dass eine Praxis mindestens an einem halben Tag pro Woche einen Raum für ein Gesprächsangebot zur Verfügung stellen konnte. Wir konnten 20 Hausarztpraxen gewinnen, an der Studie teilzunehmen, 10 im Interventions- und 10 im Kontrollarm. Die Praxen verteil-ten sich sehr heterogen über die Stadtteile von Hamburg. Unsere ursprüngliche Absicht, die Praxen in den Stadtteilen Harburg und Langenhorn (südlich und nördlich der Elbe) zu clustern, um die Wegzei-ten der Beratungskräfte möglichst gering, konnten wir nicht verwirklichen.

Beratungskräfte (Auswahl, Arbeitsleistung, Leistungsbilanz): Für die Intervention beschäftigte das Projekt Selbstmanagementförderung für Patienten mit Angst- depressiven oder somataformen Störungen (SMADS) auf 2,5 Vollkraftstellen 4 Beratungskräfte. Als Faustregel für den optimalen Einsatz und das Management der verschiedenen Praxis ergab sich eine Einsatzzeit von zehn Stunden pro Praxis. Eine Vollkraftstelle konnte also maximal vier über das Stadtgebiet verteilte Praxen betreuen, inkl. An- und Abreise, Terminmanagement, Dokumentation, Anteile Wissenschaft.

In der Gesamtschau ergaben sich aus der Arbeit der Beratungskräfte 742 Terminvereinbarungen, die zu 568 Terminen führten. 174 Mal sind die Patienten nicht erschienen bzw. haben abgesagt. Ein Ter-min dauerte im Schnitt 53,8 Minuten. Insgesamt fanden 359 Interventionstage statt, in denen 960 Be-ratungsmodule eingesetzt wurden. Im Schnitt nahmen die 151 Interventionspatienten 3,8 Termine in Anspruch.

Charakteristika der TeilnehmerInnen: 364 (Kontrollgruppe – KG: 213, Interventionsgruppe – IG: 151) PatientInnen (18-65 Jahre alt, psychisch mindestens leicht beeinträchtigt, ohne aktuelle Psychotherapie) willigten ein, an der Studie teilzunehmen, 66,2% Frauen und 33,8% Männer, die im Schnitt 40,4 (SD 13,2) Jahre alt waren. 45,0% (N=168; KG 36,6%, IG 57,2%; p=0,000) der PatientInnen waren auf mindestens einer der PHQ-Teilskalen für Somatisierung, Depressivität, Ängstlichkeit, Paniksyndrom klinisch bedeutsam beeinträchtigt. Bei erhöhter Veränderungsmotivation, aber mit geringerer Lebensqualität steigt das Risiko zu dieser Gruppe zu gehören.

Zusammenhang von Veränderungsmotivation, Selbstwirksamkeit und psychische Beschwerden zur Baseline

In dieser Arbeit haben wir untersucht, inwieweit die verschiedenen Zielgrößen der Studie miteinander zusammenhängen und welche Art des Zusammenhangs sich erkennen lässt. Dabei fanden wir her-aus, dass die Veränderungsmotivation der PatientInnen steigt, je stärker die psychische Belastung ist, von der sie berichten. Die PatientInnen mit hoher Veränderungsmotivation zeichnen sich zudem durch eine eher geringe Selbstwirksamkeitserwartung aus.

Die Ergebnisse verdeutlichen den Leidensdruck der Population, die für das SMADS gewonnen wer-den konnte: Je höher die psychische Belastung, desto höher die Bereitschaft, die Veränderungsnotwendigkeit zumindest anzuerkennen. Da gleichzeitig in dieser hoch belasteten Teilpopulation die Erwartung an die eigene Selbstwirksamkeit eher gering ist, kann das SMF-Programm hier seine beson-dere Wirkung entfalten, um langfristig die Kompetenzerwartungen der Patienten zu stärken und deren Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. (Zimmermann et al. Psychiat Prax 2015)

Ergebnis des Hauptendpunktes der Studie: Gruppenvergleich von Selbstwirksamkeit vor und nach der Intervention (12 Monate post-baseline)

12 Monate nach Beginn der Intervention hat sich der Anteil der PatientInnen, die bereit waren, den Fragebogen auszufüllen deutlich reduziert. Während in der Interventionsgruppe 73 der 151 PatientInnen (48,3%) erneut Auskunft gaben, waren es in der Kontrollgruppe 111 von 213 (52,1%), die bereit waren, sich den Fragen des Patientenfragebogens zu stellen.

Die unkorrigierten Rohwerte zur Selbstwirksamkeit (Interventionsgruppe T0: 25,3 [KI 24,3 - 26,2], T2: 29,3 [KI 27,7 - 30,9]; Kontrollgruppe T0: 28,6 [KI 27,8 - 29,4], T2: 28,2 [KI 26,9 - 29,5]) zeigen, dass die Intervention bei den PatientInnen auf die gewünschte Weise wirkt: Während sich zur Baseline die Kontrollpatienten für selbstwirksamer erachteten, sind es zu T2 die Interventionspatienten, die besser abschneiden. Weitere Ergebnisse sind gerade zur Veröffentlichung eingereicht.

Die Umsetzung des Projekts in die Routineversorgung hängt vom Nachweis der Wirksamkeit und der Umsetzbarkeit ab. Da nur ausgewählte Hausarztpraxen die Möglichkeit haben, den notwendigen Extra-Raum für das Führen von Gesprächen zur Verfügung zu stellen, müssten für die Umsetzung neue Wege gegangen werden.

Veröffentlichungen:

Zimmermann T, Puschmann E, Porzelt S, Ebersbach M, Ernst A, Thomsen T, Scherer M (2015). Selbstmanagementförderung in der ambulanten Versorgung. Programm einer niedrigschwelligen, komplexen, psychosozialen Intervention durch Pflegekräfte in der Hausarztpraxis. Zeitschrift für Allgemeinmedizin, 91, 11, 456-462.

Zimmermann T, Puschmann E, Porzelt S, Ebersbach M, Ernst A, Thomsen T, Scherer M (2015). Selbstmanagementförderung in der hausärztlichen Versorgung – der Zusammenhang zwischen Veränderungsmotivation, Selbstwirksamkeit und psychischer Belastung vor Beginn der Intervention. Psychiatr Prax 2015, 42, S1, S44-S48.

Zimmermann T, Puschmann E, Ebersbach M, Daubmann A, Steinmann S, Scherer M (2014). Effectiveness of a primary care based complex intervention to promote self-management in patients presenting psychiatric symptoms: study protocol of a cluster-randomized controlled trial. BMC Psychiatry, 14, 2.

Zimmermann T, Puschmann E, Bäter G, Carstens S, Scherer M (2012). Selbstmanagement stärken bei psychosozialen Belastungen. Die Kerbe – Forum für soziale Psychiatrie 4, 24-26.

Zimmermann T, Puschmann E, Porzelt S, Ernst A, Wiese B, Daubmann A, van den Bussche H, Scherer M (2016). Collaborative nurse-led self-management support for primary care patients with anxiety, depressive or somatic symptoms: Cluster-randomised controlled trial (findings of the SMADS study). International Journal of Nursing Studies, 63, 11, 101-111.

Förderer: Bundesministerium für Bildung und Forschung

Laufzeit: Januar 2011 bis Dezember 2016

Partner: HAW Hamburg, Institut für Allgemeinmedizin MH Hannover, MVZ Falkenried

Ansprechpartner: Thomas Zimmermann