Raum 'Ärztin werden' im Medizinhistorischen Museum
Aktuelle Forschungen aus Geschichte, Ethik und Museologie

Schnittstellen

Vortragsreihe zur Geschichte, Ethik und Museologie der Medizin

April 2023 – Juli 2023, jeden 2. Mittwoch im Monat | 18:15-19:45 Uhr | Eintritt frei

An Schnittstellen findet der Austausch zwischen mehreren Informationssystemen statt. Sie ermöglichen Kommunikation und führen unterschiedliche Perspektiven zusammen. Harmonisierung ist nicht unser Ziel: Reibungspunkte und Widerstände sind durchaus willkommen. Im Sinne von Einschnitten verfolgen wir die materiellen und immateriellen Spuren und Effekte medizinischen Handelns in der Gesellschaft. Das Kolloquium verbindet aktuelle ethische und wissenschaftshistorische Fragestellungen mit museologischen Diskursen von Bewahrung und Vermittlung. Es richtet sich sowohl an Professionelle aus den Wissenschaften und Gesundheitsberufen als auch an eine breitere Öffentlichkeit.

Mittwochs 18.15 Uhr bis 19.45 Uhr im Hörsaal des Fritz-Schumacher-Hauses (N30).

Vor der Veranstaltung ist der kostenlose Besuch des Museums möglich (ab 17 Uhr).

Programm-Flyer


12.4.2023: Lesung und Diskussion mit Prof. Dr. Thomas Etzemüller zu seiner Dokufiktion Henning von Rittersdorf: Das Deutsche Schicksal. Erinnerungen eines Rassenanthropologen.

Der Rassenanthropologe Henning von Rittersdorf ist eine fiktive Gestalt. Aber es hätte ihn geben können. Er ist der Idealtypus eines deutschen Wissenschaftlers, der durch drei politische Systeme hindurchmäandert ist, sich mühelos in das »Dritte Reich« eingefügt und kaum mühevoller wieder herausgefunden hat. Thomas Etzemüller bietet eine lebendige, doku-fiktionale Innensicht aus dem Leben eines Rassenanthropologen. Und macht deutlich, wie romanhaft die zugrunde liegende Realität gewesen ist — gleichwohl sie fürchterliche, reale Effekte gezeitigt hat.


10.5.2023: Dr. phil. Katharina Woellert, Dr. med. Claudia Weber, Ute Meldau: How to make a „Patientenverfügung“?

Voranmeldung per Mail erbeten an u.meldau@uke.de

Um es vorweg zu sagen: Sie werden nicht mit einer fertig ausgefüllten Patientenverfügung nach Hause gehen. Im Mittelpunkt stehen der Austausch und das gemeinsame Nachdenken über persönliche Vorstellungen von einem guten Leben und Sterben. Nach einer kurzen Einführung werden wir in Kleingruppen über grundlegende Vorüberlegungen diskutieren: Wie können Sie in einer Patientenverfügung Ihre Wünsche und Bedürfnisse im Voraus festlegen? Welchem medizinischen Vorgehen stimmen Sie zu und welchem nicht? Was ist, wenn Sie nicht mehr entscheidungsfähig sind oder sich selbst nicht mehr äußern können? Wie können Sie dafür sorgen, dass Ihr Selbstbestimmungsrecht bestehen bleibt? Klar ist: Gedanken zur Patientenverfügung kann man sich nie zu früh machen!


14.6.2023: Dr. Christof Beyer: Ein Medium "unmenschlicher" Verhältnisse - Fotografie und Anstaltskritik ab den 1960er Jahren

Im Umfeld psychiatriekritischer Bewegungen ab Mitte der 1960er Jahre wurden Bilder von professionellen Fotograf:innen eingesetzt, um die erbärmlichen Lebensumstände von Anstaltspatient:innen und Heimbewohner:innen in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Bilder waren in der Tradition der sozialdokumentarischen Fotografie verortet. Diese „concerned photography“ wandte sich später auch der Dokumentation von Reformprozessen und der Individualität von Menschen mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen zu. Anhand ausgewählter Beispiele aus der BRD, der DDR, den USA und Italien sollen im Vortrag die Entwicklung der spezifischen Funktion und Bildsprache psychiatriekritischer Fotografie sowie ihrer Bezüge zur historischen „Bildwerdung des Psychiatriepatienten“ (Susanne Regener) herausgearbeitet werden.


12.07.2023

Dr. Michael Markert: „Ich habe inzwischen in der Nähe eine Quelle für größere Feten auftun können…“ – Zur Ethik gesammelter menschlicher Überreste in Forschung, Lehre und Vermittlung

An der Universität Göttingen existiert eine deutschlandweit einmalige Referenzsammlung von Schnittserien menschlicher Embryonen bzw. Feten und davon abgeleiteten Lehrmodellen aus Kunststoff, die öffentlich ausgestellt werden. Im Mittelpunkt des Vortrags steht die Provenienzforschung zu dieser Sammlung, die von 1942 bis 1973 und vor allem in den ersten Jahren der BRD unter dem Anatomen Erich Blechschmidt (1904-1992) aufgebaut wurde. Ausgehend von den Forschungsergebnissen wird die Frage verfolgt, wie innerhalb der Wissenschaft, aber auch in der öffentlichen Repräsentation mit ethisch herausfordernden medizinischen Sammlungsbeständen umgegangen werden kann.