Im Ungleichgewicht

Krebspatient:innen leiden oft auch seelisch. Eine psychoonkologische Begleitung kann in dieser belastenden Lebensphase helfen. Doch die Betreuungsangebote sind ungleich verteilt; wer in der Stadt lebt, ist deutlich im Vorteil. Das hat eine Studie aus dem UKE gezeigt.

Dr. Frank Schulz- Kindermann steht vor einem Bücherregal
Leitet die Spezialambulanz:
Dr. Frank Schulz- Kindermann

Rund 500.000 Krebsdiagnosen werden pro Jahr bundesweit gestellt. Etwa 1,5 Millionen Krebskranke, deren Diagnose nicht länger als fünf Jahre zurückliegt, leben aktuell in Deutschland. Viele Betroffene brauchen psychologische Hilfe – weil nichts mehr ist, wie es war, weil Angst sich einnistet, chronische Erschöpfung den Alltag wie Mehltau überzieht oder die Folgen einer Amputation verkraftet werden müssen. Ziel 9 im „Nationalen Krebsplan“ des Bundesministeriums für Gesundheit ist klar formuliert: „Alle Krebspatient:innen erhalten bei Bedarf eine angemessene psychoonkologische Versorgung.“ Doch wie hoch ist dieser Bedarf? Und reicht die vorhandene psychoonkologische Versorgung? Wenn nicht: Wo und wie könnte man nachbessern?

Antworten liefert ein umfassendes Gutachten, das ein UKE-Expertenteam im Auftrag des Gesundheitsministeriums Ende 2018 vorgelegt hat und das auf den Seiten des Ministeriums veröffentlicht ist. „Die Versorgung ist insgesamt gut“, fasst Studienkoordinator Prof. Dr. Holger Schulz, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, zusammen. „Deutschland weist auch im internationalen Vergleich ein hohes Niveau auf.“ Das Ziel des Nationalen Krebsplans sei jedoch nicht erfüllt; längst nicht jede:r Patient:in erhalte die Unterstützung, die sie:er benötigt. In ländlichen Regionen, so Schulz, ist der Bedarf oft nicht einmal zur Hälfte gedeckt – im Gegensatz zu manchen Universitätsstädten, die eine über 100-prozentige Versorgung aufweisen und die Metropolregion mitversorgen.

Am UKE wurde schon 1995 unter Leitung von Prof Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus eine Spezialambulanz für Psychoonkologie etabliert, in der auch Angehörige betreut werden.


Symbolische Landkarte
In den Städten ist die Versorgungssituation deutlich besser

„Um Empfehlungen für eine zukünftige bedarfsgerechte Versorgung geben zu können, haben wir das Angebot in Deutschland im ambulanten, stationären und rehabilitativen Bereich ermittelt und mit dem geschätzten Bedarf in Beziehung gesetzt“, erklärt Projektleiterin Dr. Christiane Bleich. Über 36 000 Angebote wurden von Michaela Dabs, Wiebke Frerichs und Leon Sautier identifiziert, rund 17 000 Einrichtungen und Anbieter (Krebsberatungsstellen, psychoonkologische Ambulanzen, Hospize, niedergelassene Psychoonkologen) kontaktiert und dabei die angebotenen Leistungen, deren Qualität, Kosten und personelle Kapazitäten erfasst.

Jede:r zweite Krebspatient:in psychisch belastet

Bei der Bedarfsfeststellung stützte sich das Team aus dem UKE unter anderem auf die aktuellen Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts sowie auf die Ergebnisse einer vom UKE geleiteten Studie von 2014, an der mehr als 4000 Krebspatient:innen zwischen 18 und 75 Jahren beteiligt waren: Jede:r zweite Betroffene fühlte sich durch die Krankheit psychisch belastet, jede:r dritte litt unter einer depressiven Störung oder hatte Angst- oder Anpassungsstörungen. Nach einer Krebsdiagnose ist der Bedarf an psychoonkologischer Hilfe hoch.

„Häufig treten psychische Belastungen verzögert auf, wenn die Behandlung schon erfolgt ist“, erklärt Dr. Frank Schulz-Kindermann, Leiter der UKE-Spezialambulanz. Typisch seien starke Ängste vor einer Rückkehr der Krankheit oder eine andauernde Erschöpfung, Fatigue genannt. Im Gutachten wurde dieser Aspekt ebenso berücksichtigt wie der Gesprächsbedarf von Angehörigen. „Wir haben den aktuellen Bedarf ermittelt. Er wird steigen“, sagt Institutsdirektor Prof. Dr. Dr. Martin Härter. „Denn die Gruppe jener Patient:innen, die mit fortgeschrittenem Krebs leben und psychoonkologische Unterstützung benötigen, wächst.“

Michaela Dabs und Prof. Dr. Holger Schulz sitzen in ihrer Praxis
Untersuchen die bundesweite Versorgungssituation:
Michaela Dabs und Prof. Dr. Holger Schulz

Eine Lösung: Satelliten auf dem Land

Versorgungsengpässe in ländlichen Regionen ließen sich womöglich durch eine Art Satellitenstruktur verringern. Prof. Schulz nennt als Beispiel die Krebsberatungsstellen der Deutschen Krebshilfe: „Sie sind in einigen Regionen mit Haupt- und zusätzlichen Außenstellen auch in der Fläche gut verteilt. Psychoonkolog:innen fahren dann abwechselnd zu zwei oder drei Außenstellen. Ein guter Ansatz.“

Auch Onlineangebote wie eine telemedizinische Beratung oder ein therapeutischer Chat könnten Stadt-Land-Unterschiede einebnen. „Solche Angebote gibt es bereits, doch die Akzeptanz ist weder bei Behandler:innen noch bei Patient:innen groß“, sagt Psychoonkologin Dr. Bleich. Das hat sich jedoch in der jüngsten Vergangenheit, zwangsläufig auch pandemiebedingt, geändert. Um den Bedarf zu decken, sollten Behandler:innen allerdings in ausreichender Zahl psychoonkologisch weitergebildet werden.

Verbesserungen auf der Grundlage der umfassenden Analyse wurden aber bereits bei der Finanzierung von Krebsberatungsstellen erreicht: Vor dem UKE-Gutachten finanzierten die Krankenkassen keine Krebsberatungsstellen. Seit Januar 2021 beträgt der Anteil der Krankenversicherung (GKV und anteilig PKV) an der Finanzierung 80 Prozent und damit bis zu 42 Millionen Euro jährlich. Der restliche Finanzbedarf der Krebsberatungsstellen wird durch Länder und Kommunen (15 Prozent) sowie weiterhin durch einen Eigenanteil und Spenden (5 Prozent) gedeckt. Psychoonkologie könne Krebs nicht heilen, so Dr. Bleich, „aber das Leben mit der Erkrankung deutlich erleichtern.“

  • Auf einen Blick
  • Auf einen Blick

    Spenden für Spezialambulanz

    Pro Jahr suchen rund 1000 Patient:innen und Angehörige die Spezialambulanz für Psychoonkologie auf. Das Angebot umfasst Einzel-, Paar- und Familiengespräche, Entspannungstrainings, psychotherapeutische Gruppen, Musik- und Kunsttherapie. Der „Freundeskreis Psychoonkologie des UKE“ unterstützt die Arbeit der Ambulanz mit großem persönlichen Einsatz.

  • Weitere Infos

Text: Ingrid Kupczik
Fotos: Axel Kirchhof