Kompetenznetz Degenerative Demenzen: Inanspruchnahme und Kosten der ärztlichen und pflegerischen Versorgung von Patienten mit degenerativer Demenz in der GKV

Vorhabenziele

  • Untersuchung der Entwicklung von Inanspruchnahme und Kosten ärztlicher und pflegerischer Leistungen und Verordnungen durch demente Mitglieder der Gmündner ErsatzKasse (GEK).
  • Vergleich der Entwicklung der Inanspruchnahme und Kosten ärztlicher und pflegerischer Leistungen und Verordnungen durch eine nicht-demente Kontrollgruppe von Mitglieder der Gmündner ErsatzKasse (GEK)
  • Untersuchung der Abhängigkeit der Inanspruchnahme und der Kosten von Krankheitsverlauf, Geschlecht, Alter, sozialer Lage und regionalen Besonderheiten (Ost/West; Stadt/Land; nach Bundesland).

Einschlusskriterien

Von allen Versicherten im Alter von 65 Jahren und älter wurden alle Inzidenzfälle mit ICD-Kodierungen für degenerative Demenz mit Erstdiagnose in den Quartalen 1/2005 bis 1/2006 betrachtet. Die Definition inzidenter Demenz lautete: 4 Quartale ohne Demenzdiagnose gefolgt von mindestens einer Demenzdiagnose in drei von vier aufeinanderfolgenden Quartalen.
Eine Vergleichsgruppe wurde durch ein 1:4 Matchings anhand der Variablen:

  • Alter
  • Geschlecht
  • Anzahl der Arztkontakte im 1. Beobachtungsquartal
  • Anzahl der unterschiedlichen kontaktierten Ärzte im 1. Beobachtungsquartal

Es konnten 1.848 Versicherte identifiziert werden, die in den Quartalen 1/2005 bis 1/2006 erstmals eine Demenzdiagnose erhielten. Die Versicherten mit Demenzdiagnose waren im Mittel 78,7 Jahre alt, 48% davon waren Frauen. Die durch ein 1:4 Matching gezogene Vergleichsgruppe hatte die gleiche Alters- und Geschlechtsstruktur, da nach diesen Kriterien gematcht wurde.

Design

Sekundäranalyse der Routinedaten der GEK, für die Zeiträume 2004-2006. Für jeden Proband wird ein individualisierter Beobachtungszeitraum (4 Quartale vor und 4 Quartale ab Diagnosestellung).

Zentrale Ergebnisse und Ergebnisverwertung

  • Inanspruchnahme medizinischer und pflegerischer Leistungen

Die Inanspruchnahme ambulanter Leistungen durch Versicherte mit Demenz stieg im Jahr vor Inzidenz um 50% und im Jahr danach um 40% an. Dabei wurden insbesondere Leistungen im hausärztlichen sowie neurologischen und psychiatrischen Bereich in Anspruch genommen (Eisele et al., 2010; van den Bussche et al., 2013). Stadt-Land-Unterschiede zeigten sich in der Inanspruchnahme von den neurologischen und psychiatrischen Fachärzten. Diese wurden in städtischen Bereichen deutlich häufiger konsultiert als in ländlichen Bereichen (Koller et al., 2010). Bei der Bedarfsplanung für die Versorgung von Menschen mit Demenz sollte deshalb beachtet werden, dass auch in ländlichen Gebieten der Zugang zu neurologischen und psychiatrischen Fachärzten sichergestellt werden sollte. Weitere Analysen untersuchten die Überweisungsmuster zu Neurologen, Radiologen und klinischer Chemie. Es bestanden erhebliche Diskrepanzen zwischen den gefundenen Überweisungsmustern und von Spezialisten erbrachten Leistungen auf der einen Seite und den Leitlinien-Empfehlungen zur Demenzabklärung auf der anderen Seite. Leitlinien sollten deshalb unter Beteiligung von Vertragsärzten erstellt werden und dabei realisierbare Vorschläge zur Organisation des Leistungsangebots beinhalten (van den Bussche, Wiese, et al., 2011).

  • 2. Verschreibungsmuster von Antidementiva, Antipsychotika und Schmerzmittel

Entsprechend der Leitlinien erhielt die Mehrheit der Versicherten mit Demenz im Jahr nach Diagnosestellung keine Antidementiva. Unangemessene Verschreibung war unter anderem damit assoziiert, keinen Facharzt zu konsultieren und in städtischer Umgebung zu leben (van den Bussche, Kaduszkiewicz, et al., 2011). Vertiefend wurden Analysen hinsichtlich der Verschreibung von Cholinesterasehemmern durchgeführt. Die Wahrscheinlichkeit einen Cholinesterasehemmer verschrieben zu bekommen stieg, wenn ein Patient einen Neurologen oder Psychiater konsultierte oder in städtischer Umgebung lebte. Der Entscheidungsprozess Cholinesterasehemmer zu verschreiben war jedoch nicht mit der Anzahl der verschriebenen Medikamente assoziiert, sondern schient von der klinischen Gesamtsituation des Patienten, die die Pflegeabhängigkeit und geriatrische Begleiterkrankungen umfasst, abzuhängen (Hoffmann et al., 2011). Insgesamt verdoppelte sich die Verschreibungshäufigkeit von Cholinesterasehemmern vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2007. Die Verschreibungshäufigkeit nahm insbesondere in der Altersgruppe der Patienten ab 80 Jahren zu. Die Verschreibung von Memantinen durch Neurologen und Psychiater nahm von 2000 (22.6%) bis 2007 (45.8%) ebenfalls zu (Hoffmann, van den Bussche, Glaeske, & Kaduszkiewicz, 2010).

Obwohl Studien unerwünschte Wirkungen durch Antipsychotika bei Menschen mit Demenz zeigten, erhielten 25,4% der Versicherten mit Demenz Antipsychotika und nur 4.3 % der Vergleichsgruppe der Versicherten ohne Demenz. Eine höhere Pflegestufe, Alter, weibliches Geschlecht und Leben in einem Pflegeheim standen in einem signifikanten Zusammenhang damit, mindestens einmal ein Antipsychotikum verschrieben zu bekommen. Dies bedeutet, dass Antipsychotika trotz unerwünschter Ereignisse eine wichtige Rolle in der Behandlung von Versicherten mit Demenz spielen. Deshalb sollte weitere Forschung auf sichere pharmakologische und nicht-pharmakologische Behandlung der verhaltens- und psychologischen Symptome der Demenzerkrankung gerichtet sein (Schulze et al., 2013). Versicherte mit Demenz erhielten vergleichbar viele Diagnosen, die auf Schmerzen hindeuten. Nach Adjustierung für soziodemographische Variablen, Pflegebedürftigkeit, Begleiterkrankungen und Diagnosen die auf Schmerzen hindeuten, hatten Versicherte mit Demenz eine geringere Wahrscheinlichkeit Schmerzmittel zu erhalten (Hoffmann, van den Bussche, Wiese, Glaeske, & Kaduszkiewicz, 2014),

  • 3. Institutionalisierung

Die mittlere Zeit bis zur Aufnahme in ein Pflegeheim war bei den Versicherten mit Demenz mit 4,0 Jahre kürzer als bei den gleichaltrigen Versicherten ohne Demenz (4,6 Jahre). Nach 5 Jahren ab Erstdiagnose lebten weniger Versicherte mit Demenz (62,7%) außerhalb von Pflegeheimen als Versicherte ohne Demenz (86,2%). Auch nach Kontrolle für Begleiterkrankungen, blieb für Versicherte mit Demenz ein um das 3,45-fach erhöhte Risiko in ein Pflegeheim aufgenommen zu werden. Diese Ergebnisse sollten bei der Planung und Bereitstellung von Pflegeplätzen berücksichtigt werden (Schulze, Bussche, Kaduszkiewicz, Koller, & Hoffmann, 2015). Weitere Ergebnisse zu Pflegebedürftigkeit sind im Artikel von Beekmann et al. 2012 dargestellt (Beekmann, Bussche, Glaeske, & Hoffmann, 2012).

  • 4. Mortalität

Die 5-jahres Mortalität betrug 53.5% bei Versicherten mit Demenz und 31.1% bei Versicherten ohne Demenz. Selbst nach Kontrolle für die Effekte von Begleiterkrankung und der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen blieb das Mortalitätsrisiko für Versicherte mit Demenz gegenüber Versicherten ohne Demenz um den Faktor 1.5 erhöht. Insbesondere die hohe 5-Jahres-Mortalität von Versicherten mit Demenz mit Pflegestufen (Pflegestufe 1 ca. 70%; Pflegestufen 2-3 ca. 80%) legt nahe, palliative Elemente in der Pflege zu berücksichtigen, die auf die Verbesserung der Lebensqualität abzielen (Koller et al., 2012).

Zusätzlich wurde die Diagnosestellung und Diagnosecodierung von Demenzen im Spiegel der Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung beleuchtet (Kaduszkiewicz et al., 2014).

Veröffentlichungen

Beekmann, M., Bussche, H. van den, Glaeske, G., & Hoffmann, F. (2012). Geriatrietypische Morbiditätsmuster und Pflegebedürftigkeit bei Patienten mit Demenz. Psychiatrische Praxis, 39(05), 222–227.

Eisele, M., Bussche, H. van den, Koller, D., Wiese, B., Kaduszkiewicz, H., Maier, W., … Schön, G. (2010). Utilization Patterns of Ambulatory Medical Care before and after the Diagnosis of Dementia in Germany – Results of a Case-Control Study. Dementia and Geriatric Cognitive Disorders, 29(6), 475–483.

Hoffmann, F., van den Bussche, H., Glaeske, G., & Kaduszkiewicz, H. (2010). Eight-year prescription trends of memantine and cholinesterase inhibitors among persons 65 years and older in Germany: International Clinical Psychopharmacology, 25(1), 29–36.

Hoffmann, F., van den Bussche, H., Wiese, B., Glaeske, G., & Kaduszkiewicz, H. (2014). Diagnoses indicating pain and analgesic drug prescription in patients with dementia: a comparison to age- and sex-matched controls. BMC Geriatrics, 14, 20.

Hoffmann, F., van den Bussche, H., Wiese, B., Schön, G., Koller, D., Eisele, M., … Kaduszkiewicz, H. (2011). Impact of geriatric comorbidity and polypharmacy on cholinesterase inhibitors prescribing in dementia. BMC Psychiatry, 11, 190.

Kaduszkiewicz, H., Wiese, B., Steinmann, S., Schön, G., Hoffmann, F., & Bussche, H. van den. (2014). Diagnosestellung und Diagnosecodierung von Demenzen im Spiegel der Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung. Psychiatrische Praxis, 41(06), 319–323.

Koller, D., Eisele, M., Kaduszkiewicz, H., Schön, G., Steinmann, S., Wiese, B., … van den Bussche, H. (2010). Ambulatory health services utilization in patients with dementia - Is there an urban-rural difference? International Journal of Health Geographics, 9, 59.

Koller, D., Kaduszkiewicz, H., Bussche, H. van den, Eisele, M., Wiese, B., Glaeske, G., & Hoffmann, F. (2012). Survival in patients with incident dementia compared with a control group: a five-year follow-up. International Psychogeriatrics, 24(9), 1522–1530.

Schulze, J., Bussche, H. van den, Kaduszkiewicz, H., Koller, D., & Hoffmann, F. (2015). Institutionalization in incident dementia cases in comparison to age- and sex- matched controls: a 5-year follow-up from Germany. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 50(1), 143–151.

Schulze, J., Glaeske, G., van den Bussche, H., Kaduszkiewicz, H., Koller, D., Wiese, B., & Hoffmann, F. (2013). Prescribing of antipsychotic drugs in patients with dementia: a comparison with age-matched and sex-matched non-demented controls. Pharmacoepidemiology and Drug Safety, 22(12), 1308–1316.

Van den Bussche, H., Kaduszkiewicz, H., Koller, D., Eisele, M., Steinmann, S., Glaeske, G., & Wiese, B. (2011). Antidementia drug prescription sources and patterns after the diagnosis of dementia in Germany: results of a claims data-based 1-year follow-up. International Clinical Psychopharmacology, 26(4), 225–231.

Van den Bussche, H., Wiese, B., Koller, D., Eisele, M., Kaduszkiewicz, H., Maier, W., … Schön, G. (2011). Specialist involvement and referral patterns in ambulatory medical care for patients with dementia in Germany: results of a claims data based case-control study. BMC Health Services Research, 11, 148.

Van den Bussche, H., Wiese, B., Schön, G., Eisele, M., Koller, D., Steinmann, S., … Kaduszkiewicz, H. (2013). Die vertragsärztliche Versorgung von Patienten mit Demenz im Spiegel von Abrechnungsdaten einer GKV-Kasse, 89(2), 55–60.

Laufzeit: 10/07 - 09/10

Förderung: Dieses Projekt wird im Rahmen des Kompetenznetzes Degenerative Demenz vom BMBF gefördert.

Kooperationspartner:

  • Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
  • Stiftungslehrstuhl für Gesundheitsökonomie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Leipzig
  • Zentrum für Biometrie, Medizinische Hochschule Hannover

Kontakt: Marion Eisele , Hendrik van den Bussche