Der Übergang

Wann ist der Mann ein Mann? Wenn er so aussieht, sich so benimmt, wenn die anderen ihn so sehen? Devin ist ein Mann. Er wurde als Mädchen geboren, doch Julia merkte irgendwann, dass etwas nicht stimmte. Devin ist transsexuell und hat sich zur Geschlechtsangleichung entschieden – ein langer Weg mit vielen mutigen Schritten.

 Die kleine Julia:
Die kleine Julia:
ein fröhliches Kind, das gern die Rolle des Prinzen übernimmt

Das blondgelockte Mädchen im bunten Sommerkleid ist zwei Jahre alt, sitzt in einem pinkfarben bemalten Autoreifen und guckt vergnügt in die Kamera. „Ich war ein süßes und offenbar sehr verträgliches Kind“, sagt Devin, als er das Foto betrachtet. „Nur finde ich mich darin nicht wieder.“ Genauso wenig wie in jenem Bild, das Jahre später bei einer Hochzeit entstand. Es zeigt eine schöne junge Frau mit fein geschnittenem, von langem rotbraunem Haar umrahmten Gesicht.

Devin ist 26 Jahre alt, seine Stimme dunkel und sanft. Man spürt nicht, wie sehr er sich konzentriert, damit die Tonlage nicht steigt. Das kann passieren, wenn er liebevoll zu seinem Hund Emily spricht. Oder bei seiner Arbeit im Textilkaufhaus, wo er gerade die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolviert. Sein freundliches „Wie kann ich Ihnen helfen?“ klingt dann hell und „einfach nur schlimm“, findet er. In seinem Ausweis steht Devin, im Geschäft sprechen ihn Kunden aber oft mit „junge Frau“ an. „Daran habe ich zu knabbern. Irgendwie möchte ich doch in diese Gesellschaft passen.“ Kinder hingegen scheinen sich von Äußerlichkeiten wenig beirren zu lassen. „Sie sehen mich als Mann, der ich bin.“

Beim Teenager scheint
alles im Lot, doch dann startet die Talfahrt

Auch mit dem Bartwuchs hadert er: „Da sollte sich schon mehr getan haben.“ Seit einiger Zeit trägt er regelmäßig ein Testosteron-Gel auf, das wird er lebenslang tun. Die männlichen Geschlechtshormone haben ihm eine zweite Pubertät beschert, leichte Gesichtsakne inklusive. Der junge Mann hat Gewicht verloren, die Gesichtszüge sind markanter geworden. Und er hat festgestellt: „Früher war ich ganz nah am Wasser gebaut. Wenn ich heute mal sehr traurig bin, bleibt das befreiende Weinen aus.“ Devin befindet sich inmitten der Transition, dem Übergang vom weiblichen zum männlichen Geschlecht. Die Behandlung ist komplex. Dazu gehört, neben der Psychotherapie, die hormonelle und operative Anpassung des Körpers an das empfundene Geschlecht. Devin beschreitet diesen Weg im UKE: Er ließ sich im vergangenen Jahr die Brüste entfernen, demnächst sollen Gebärmutter und Eierstöcke folgen. Im nächsten Jahr würde er gern den Penisaufbau durchführen lassen, eine komplizierte und aufwändige Operation. „Manche Trans-Menschen können auch ohne Operation gut leben. Ich habe mich für das Komplettprogramm entschieden.“

Manga- Held Naruto
Ausflug in die Fantasiewelt: Devin als Manga-Held Naruto

Held in der virtuellen Welt

Mit Kopf und Seele ist Devin längst ein Mann, diese Gewissheit hat er. „Früher habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Mein Körper war weiblich, ich wurde als Mädchen erzogen und habe das so angenommen.“ Die kleine Julia mag Männerrollen, sie gibt beim Fasching am liebsten den Prinz oder Cowboy, während ihre Freundinnen im rosa Glitzerkostüm feiern. Mit zehn entdeckt Julia Gameboy, später Playstation, Online-Spiele. Am liebsten taucht sie in die Manga-Videos ein, oft stundenlang. In der virtuellen Welt ist sie der Held. Das Zocken sorgt für Zoff mit der Mutter, doch in der Schule läuft es und mit 16 hat sie den ersten Freund. Offenbar alles im Lot. Dann beginnt die Talfahrt. Julia verreißt den Realschulabschluss, bricht mehrere Ausbildungen ab. Sie fühlt sich leer, diffus, haltlos und erkrankt an einer schweren Depression. Ganze Tage verbringt sie im Bett, findet nur bei Videospielen oder Fantasyromanen Entspannung. Bald kann Julia keinen Schritt mehr vor die Tür setzen. Eine Psychotherapeutin kommt ins Haus. „Alle dachten, mir gehe es schlecht wegen meiner Misserfolge.“ Sie selbst weiß nicht, was los ist mit ihr. In dieser Phase kommt Devin ins Spiel: In einer Online-Community, Rubrik Flirt, setzt Julia als Profilbild das Foto ihres Freundes ein, der nichts dagegen hat, und nennt sich Devin. „Ich mochte diesen Namen, es fühlte sich richtig und gut an, als Mann aufzutreten.“ Zwischen Julia alias Devin und einer jungen Frau entwickelt sich ein inniger Austausch. Julia ist glücklich, die Depression geht zurück und auch die Kraft kehrt wieder. Sie holt den Realschul-abschluss nach. Als die Chat-Freundin vorschlägt, mal zu telefonieren oder sich zu treffen, sucht Julia zunächst Ausflüchte, nimmt dann doch ihren Mut zusammen und beichtet: Devin ist Fake.

Was kommt als Nächstes?
Der nachdenkliche junge Mann nähert sich seinem Ziel schrittweise

Cosplay: Flirt mit der zweiten Identität

Sie habe sich in den Menschen verliebt und nicht in ein Bild, sagt die Freundin. Einige Zeit später ziehen beide Frauen zusammen. Sie teilen fortan auch die Leidenschaft für Cosplay (Costume Play), bei dem sich Fans von Videospielen als deren Charaktere verkleiden und ihre Verhaltensweisen nachspielen. Bis heute liebt das Paar den Flirt mit der zweiten Identität und fährt zu Szene-Treffen. Doch Julia wirkt zunehmend bedrückt. Der Devin vom Chat sei so glücklich gewesen, sagt die Freundin. Ob alles mit ihr stimme? Nichts stimmt! „In meinem Kopfkino war ich als Mann mit meiner Freundin zusammen, das war richtig. Als Frau war die Beziehung falsch.“ In diesem Moment beginnt die Welt sich für Devin neu zu sortieren. Seine Mutter ist die erste, bei der er sich outet. Er schreibt ihr: „Bei mir stimmt etwas nicht. Ich glaube zu wissen, warum es mir so schlecht geht.“ Und fügt Informationen zum Thema Transgender bei. Die Mutter weint, macht sich Vorwürfe, dass sie nichts bemerkt hat – und unterstützt ihn. Sie ortet die Spezialambulanz für Transgender-Versorgung: im UKE, wo Devin auf die Welt kam, wegen eines angeborenen Herzfehlers zweimal operiert wurde und seither jedes Jahr zur Kontrolluntersuchung ist. Devin empfindet es als „Riesenglück“, dass er seine Geschlechtsangleichung mit Hilfe der UKE-Experten durchführen kann. Auf Empfehlung des Psychologen hat er als Erstes seinen Rufnamen geändert, bevor dies im Ausweis amtlich wurde. „Ich bin ab sofort nicht mehr Julia, sondern Devin“, teilte er dem Freundeskreis mit. Und dass er verstehen könne, wenn jemand damit Probleme habe und keinen Kontakt mehr wünsche. Niemand hat sich abgewendet – bis heute nicht.

Text: Ingrid Kupczik Fotos: Axel Heimken