Psychisch Erkrankte besonders betroffen

Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen haben vor allem auch Auswirkungen auf die Psyche. Familien und Freunde konnten sich gar nicht und können sich auch heute noch nur mit ausreichend Abstand treffen. Die Belastungen zu Hause sind groß, weil Kinder nicht in die Schule oder die Kita dürfen. Da hilft nur, sich eine positive Haltung aufzubauen und Hilfe zu holen, sagt Prof. Dr. Jürgen Gallinat, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

  Prof. Dr. Jürgen Gallinat lächelt in die Kamera. Gallinat ist hellblond, er trägt ein schwarzes Hemd und Jacket
Positiv bleiben...
...und sich Hilfe holen, rät Prof. Gallinat Betroffenen

Man sollte sich keinesfalls auf negative Gefühle und Angst fokussieren. Es hilft, wenn man positiv denkt und sich auf angenehme Aktivitäten konzentriert – die schon lange anstehende Renovierung der Wohnung, die Kontaktaufnahme mit einem früheren Freund und die kleinen Freuden des Alltags, sagt Prof. Gallinat. Das könne auch der Kaffee am Morgen oder Musikhören sein. Wichtig sei auch, dass man seinen Alltag strukturiert und sich Routinen schafft.

Wer seine Sorgen und Ängste aber nicht allein bewältigen kann, sollte sich unbedingt professionelle Hilfe suchen. Die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE sowie die angegliederten Ambulanzen sind weiterhin geöffnet. Auch Hausärzte beraten in Krisensituationen. Zusätzlich werden gerade vielerorts telemedizinische Angebote ausgebaut, sagt der Klinikdirektor.

Klinik hat viele Maßnahmen zum Infektionsschutz ergriffen

Vor allem Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind von der Corona-Pandemie besonders betroffen, unter anderem auch, weil für sie derzeit der Zugang zum Versorgungsystem erschwert ist. „Wir haben weniger Nachfrage nach stationärer oder ambulanter Behandlung. Die Hemmschwelle ist höher geworden. Menschen mit schweren psychischen Belastungen, die ohnehin Schwierigkeiten haben, sich einer Behandlung zu nähern, nehmen momentan keine Termine wahr“, sagt Prof. Gallinat. Viele von ihnen hätten auch Angst vor einer Ansteckung auf dem Weg ins Krankenhaus oder im Krankenhaus selbst.

Dabei hat die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie zahlreiche Maßnahmen zum Schutz von Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Corona-Virus ergriffen. Beschäftigte arbeiten in einem so genannten Kohorten-Dienst-System. Vereinfacht ausgedrückt arbeiten immer nur die gleichen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Einige Mitarbeiter sind gänzlich im Homeoffice. Sie könnten einspringen, falls es zu Infektionen in der Klinik käme und Ärztinnen und Ärzte oder Pflegekräfte in Quarantäne müssten.

Darüber hinaus werden Patienten im Vorwege über Symptome befragt und vor einer Aufnahme auf Station auf das neuartige Corona-Virus getestet. Stationäre Patienten werden regelmäßig geschult, unter anderem zum Thema Händedesinfektion. Mit ihnen werden Abstandsregeln und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes eingeübt. Besonderer Schutz gilt auf Stationen mit Risikopatienten, so zum Beispiel auf der gerontopsychiatrischen Station, auf der viele ältere und multimorbide Patienten untergebracht sind. Gleichwohl ist das Einhalten von Verhaltensregeln für manche Patienten eine zusätzliche Bürde, sagt der Klinikdirektor.

Corona-Pandemie unterbricht durchgeplantes Leben

Doch bei allen Einschränkungen bringen die Veränderungen durch die Corona-Pandemie nach Meinung von Prof. Gallinat durchaus auch einige Vorteile mit sich. Familien haben wieder einen engeren Kontakt, können sich intensiver miteinander beschäftigen und unterhalten, sagt der Psychiater. Manche Menschen erkennen auch gerade, dass ihr sehr durchgeplantes und strukturiertes Leben eine Art Unterbrechung erfährt. Bei einigen komme vielleicht auch ein Gefühl der Bescheidenheit auf. „Das kann durchaus eine positive Erfahrung sein.“

Und die Lockerungen bringen zudem neuen Lebensmut zurück. Viele Menschen haben nicht mehr so eine große Angst vor einer Ansteckung. Sie denken wieder mehr an die Zukunft, planen sogar einen Urlaub, sagt der Klinikdirektor.

Prof. Dr. Jürgen Gallinat steht am oberen Elbufer, auf dem Arm trägt er seinen kleinen, rothaarigen Sohn, beide lächeln in die Kamera. Im Hintergrund die Elbe, blauer Himmel mit wenigen Wolken, ein voll beladenes Containerschiff fährt Richtung Hamburger Hafen
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Unterwegs an der Elbe
Privat hat sich durch die Pandemie nur wenig verändert
Prof. Dr. Jürgen Gallinat und seine Frau spazieren entspannt mit ihren beiden Söhnen über eine Wiese. Sie geht langsam voran mit dem jüngeren, blonden Sohn an der Hand
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Mit der Familie unterwegs
Alles entspannt – nur die Kinder vermissen ihre Großmutter

Auf sein eigenes Privatleben hat sich die Corona-Pandemie bislang nur wenig ausgewirkt. Meine Frau und ich arbeiten beide in einer Klinik und sind nicht in Kurzarbeit. Da sind andere Menschen sicherlich viel stärker betroffen, zum Beispiel diejenigen, die auf engstem Raum zusammenleben müssen oder wirtschaftliche Sorgen haben, sagt Prof. Gallinat. Zudem durften die beiden Kinder auch von Beginn der Pandemie an in die Notbetreuung der Kita gehen. Für sie habe sich fast nichts geändert. Einzig, dass sie ihre Oma im Pflegeheim nicht besuchen dürften, treffe sie. Sie vermissen Ihre Großmutter sehr. Mit gelockerten Besuchsregelungen ändert sich auch das hoffentlich bald wieder.

  • Notfall

    In einer bundesweiten Studie untersuchen UKE-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler derzeit die Auswirkungen und Folgen der Corona-Pandemie auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen. Dafür befragen sie nicht nur Eltern, sondern auch Kinder und Jugendliche.

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Text: Berit Waschatz, Fotos: Axel Kirchhof (Stand: 9. Juni 2020)