PJ in der Allgemeinmedizin - eine richtige Entscheidung

Die wenigsten Medizinstudierenden wissen bereits von Anfang an, welchen genauen Weg sie später gehen wollen. Bei mir persönlich stand fest: Mich interessiert ganzheitliche Medizin. Im Vordergrund steht der Mensch und die psychosozialen Hintergründe. Meine Vorstellung war eine Beziehung zu den Menschen aufzubauen, jedem mit seiner individuellen Krankheitsgeschichte die bestmögliche Beratung zu geben, um bei Problemen zu helfen, seien sie organischer, psychischer oder sozialer Ursache. Da lag Allgemeinmedizin nahe, aber ob das wirklich das richtige Fach für mich ist?

Seit der Einführung der neuen Approbationsordnung ist es möglich das PJ-Wahlfach in einer allgemeinmedizinischen Arztpraxis zu absolvieren. Eine wichtige Frage war bereits bei dem letzten DEGAM Kongress (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin) diskutiert worden:

"Welche Studierenden sind für das PJ in der Allgemeinmedizin geeignet?"

Es gab sowohl Argumente für die Studierenden, die bereits wissen, dass sieAllgemeinmedizin machen wollen (um zu prüfen, ob es das richtige ist), wie auch Argumente für die Studierenden, die in die Klinik wollen und eine Einsicht in die ambulante Betreuung von Patientinnen und Patienten bekommen sollen.

Bei der Auswahl der Praxis waren die Studierenden aktiv beteiligt. Drei Praxen im persönlichen Umfeld standen für mich zur Auswahl. Ich musste zwar ein Vorstellungsgespräch vereinbaren, doch ich selbst durfte meinen "Chef", bzw. meine "Chefin" im Endeffekt aussuchen. Eine andere Art von Erfahrung.

Nach einem Gespräch und einem freundlichen Rundgang durch die Praxis mit meinen Lehrärztinnen/Lehrärzten war schnell klar: Die Praxis oder keine. Folgende Punkte halfen mir bei der Auswahl, bei denen natürlich zunächst der erste Eindruck zählte:

  • Freundliche und hilfsbereite Arzthelferinnen
  • gepflegte und vielseitige Praxis und
  • motivierte, engagierte Lehrärzte/Lehrärztinnen.

In der ersten Woche bekam ich einen Einblick über den Ablauf während der Sprechstunde und sammelte meine ersten Eindrücke.

In der zweiten Woche fing ich an, bei Patienten zunächst ohne Aufsicht eine Anamnese zu erheben, eine körperliche Untersuchung durchzuführen und eventuelle diagnostische und therapeutische Möglichkeiten zu besprechen. Ein abschließendes Gespräch erfolgte jedes Mal zusammen mit meiner Lehrärztin.

Mit der Zeit wurde ich sicherer bei der Diagnosestellung, der geeigneten Diagnostik und Therapie.

Zu meinen weiteren Tätigkeiten gehörten Durchführung und Auswerten von EKG und Ergometrie, Spirometrie, Anlegen von Verbänden, Blutentnahmen bei "schwierigen" Patienten und Patientinnen, Haus- und Pflegeheimbesuche. Zudem nahm ich am kassenärztlichen Notdienst teil.

Die Patientinnen und Patienten waren bereits über die Anwesenheit von Studierenden in der Praxis informiert und nur einige wünschten im Voraus das alleinige Gespräch mit der Lehrärztin. Ich war sehr erstaunt und bin den Patienten und Patientinnen sehr dankbar, dass sie mir wie selbstverständlich freundlich und mit Akzeptanz begegnet sind. Bei den wenigen, die sich im ersten Gespräch als unkooperativ zeigten, und bei denen aus der Akte das Problem ersichtlich war, (z. B eine unsichere Patientin, die im Alkoholentzug war) versuchte ich behutsam einen Weg zu finden das Vertrauen zu gewinnen, um zumindest eine Anamnese zu erheben. Dies zu schaffen war ein besonderes Erfolgserlebnis.

Bei Begegnungen mit unkooperativen Patienten und Patientinnen lernte ich mit der Zeit, das nicht persönlich zu nehmen. Bei einem Rollenspiel im begleitenden Seminar konnte ich eine unangenehme Situation noch mal reflektieren.

Die Zusammenarbeit mit den Arzthelferinnen, die ich für sehr wichtig halte, war sehr gut. Bei Unklarheiten halte ich das rechtzeitige Ansprechen und Miteinandersprechen für ratsam.

Während des PJ in der Allgemeinmedizin lernte ich nicht nur aus den Fällen der Patientinnen/Patienten.

Ich versuchte auch, mich selbst zu beobachten, und die Reaktionen, die die Patienten/Patientinnen bei mir auslösten. Ich bin meiner Lehrärztin sehr dankbar, dass ich ihr diese Eindrücke schildern konnte und sie mir von ihren Erfahrungen berichtete.

In der Praxis war es oft möglich über die Patienten zu sprechen und deren Leiden und Probleme zu reflektieren. Von Vorteil ist im Gegensatz zum Krankenhaus, dass man einen engen Kontakt zum Lehrarzt hat und der Lehrarzt die Patienten meistens sehr gut kennt.

Das wöchentliche Seminar mit einer Dozentin vom Institut für Allgemeinmedizin, bei dem jedes Mal von den Studierenden passend zum Wochenthema ein Fall vorgestellt wurde, war eine sinnvolle Ergänzung zum PJ. Auch Rollenspiele und Problemmanagement hinsichtlich Arzt-Patient-Kommunikation gehörten dazu. Es bot sich die Gelegenheit über noch verbleibende Fragen zu diskutieren und die gemachten Erfahrungen auszutauschen. Das Seminar war dank der kompetenten Seminarleitung sehr effektiv und hat im Gegensatz zu vielen anderen Unterrichtseinheiten und Seminaren im PJ sehr viel Spaß gemacht.

Während des gesamten PJ war die Rede vom Erstellen und Erreichen von Lernzielen. Viel gelernt habe ich durchaus, sowohl medizinisch als auch menschlich. Am Ende des PJ war für mich persönlich das wichtigste Lernziel erreicht:

Ich weiß, dass Allgemeinmedizin das Richtige für mich ist.

Nuray Can
August 2006