Ausgefragt?! –

Forschung zu Alternativmethoden fördern


Interview mit Prof. Dr. Maike Frye

Hamburg Center of 3R Research (HC3R)


Das neue Centrum HC3R des UKE entwickelt und evaluiert innovative wissenschaftliche Methoden, die den Einsatz von Forschungstieren ersetzen (Replace), reduzieren (Reduce) oder verfeinern (Refine). Durch interdisziplinäre Forschung, methodische Standardisierung und den Transfer in in-vitro-, in-silico- und organoidbasierter Modelle leistet es einen zentralen Beitrag zur Qualität, Reproduzierbarkeit und ethischen Vertretbarkeit biomedizinischer Forschung. Prof. Dr. Frye, Professorin für 3R-Modelle und Vaskuläre Biomedizin und Leiterin des Hamburg Center of 3R Research (HC3R) des UKE, erklärt, wie das neue Centrum als Schnittstelle für eine moderne, verantwortungsbewusste Forschung fungiert.

  • Hallo, mein Name ist Maike Frye und ich bin Professorin für 3R-Modelle und vaskuläre Biomedizin hier am UKE und jetzt Leiterin für das neue Hamburg Center of 3R Research.


    Frau Prof. Frye, welche Ansätze gibt es für eine tierfreie Forschung?

    Die tierfreie Forschung hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt. Sie basiert auf dem 3R-Prinzip: Replace, Reduce und Refine. Replace bedeutet hier, Tierversuche zu ersetzen, zum Beispiel durch Organoide, Organs-on-a-chip, Zellkulturmodelle oder eben computergestützte Simulationen oder KI-basierte Vorhersagen. Reduce steht dafür, die Anzahl an Tieren so weit wie möglich zu reduzieren, zum Beispiel durch bessere Versuchsplanung oder die Nutzung bereits vorhandener Datenbanken, sodass weniger neue Experimente nötig sind. Refine heißt schließlich, Versuche so zu verbessern, dass die Tiere im Versuch weniger Belastung erfahren, etwa durch nicht-invasive Methoden, bessere Schmerztherapien oder optimierte Haltungsbedingungen.

    Kombiniert man all diese Ansätze, kann man viele Fragestellungen heute bereits ohne Tiere beantworten und gleichzeitig wissenschaftlich präzisere und human-relevantere Methoden etablieren. Das ist nicht nur ein ethischer, sondern auch ein wissenschaftlicher Fortschritt.


    Warum wurde das Hamburg Center of 3R Research (HC3R) gegründet?

    Das Hamburg Center of 3R Research wurde gegründet, um alle Aktivitäten rund um tierfreie und tieralternative Forschung am UKE zu bündeln. Die Idee ist, Forscher:innen aus unterschiedlichen Instituten enger zusammenzubringen, die schon jetzt an 3R-Methoden arbeiten. So entsteht ein Netzwerk, das Expertise, Technologien und Ressourcen besser teilt und dadurch noch schneller Innovationen hervorbringt.

    Das Center soll vor allem Alternativen zu Tierversuchen fördern, zum Beispiel Organs-on-a-chip, Computermodelle oder fortgeschrittene Zellkulturansätze. Gleichzeitig soll es helfen, Tierversuche zu reduzieren, unter anderem durch den Austausch von Geweben und Daten. Noch können wir nicht auf jeden Tierversuch verzichten, aber dort, wo sie noch notwendig sind, möchten wir die Methoden verfeinern, um die Belastungen für die Tiere zu verringern.

    Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ausbildung: In enger Zusammenarbeit mit unserer Tierhaltung werden wir Seminare und Vorträge anbieten, damit die nächste Generation von Forschenden den 3R-Gedanken selbstverständlich in ihre Arbeit integriert. Insgesamt möchten wir das Hamburg Center of 3R Research national und international als starken Hamburger Standort für 3R-Forschung positionieren und sichtbarer machen.


    Welche neuen Forschungsmethoden werden im HC3R entwickelt?

    Da gibt es eine ganze Bandbreite. Ein Beispiel kommt aus der Neuroimmunologie und der translationalen Medizin: Dort werden aus einfachen menschlichen Stammzellen Hirnzellen und Hirnorganoide gezüchtet. An ihnen können die Forschenden nachvollziehen, wie die chronische Erkrankung Multiple Sklerose entsteht und verläuft.

    Ein weiteres Beispiel ist eine Arbeitsgruppe der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik. Sie zeigt sehr eindrücklich, das höhere Wirbeltiere – also zum Beispiel Mäuse – in der experimentellen Forschung ersetzt werden können. Für ihre Nierenforschung nutzen sie die nierenähnlichen Zellen der Drosophila-Fliege, weil viele der biologischen Signalwege dieser Fliege erstaunlich stark denen des Menschen ähneln.

    Mit meiner eigenen Forschungsgruppe arbeite ich an Hydrogeltechniken für Kultursysteme menschlicher Zellen. Wir bilden damit die Gewebeumgebung von Endothelzellen nach – also von den Zellen, die die innerste Schicht von Blut- und Lymphgefäßen bilden. So wollen wir künftig Krankheitsprozesse der Gefäße direkt in der Kulturschale, also in vitro, nachvollziehen und untersuchen. All diese Ansätze zeigen, wie moderne Methoden uns dabei helfen können, Tierversuche zu reduzieren oder sogar ganz zu ersetzen.


    Was ist wichtig, damit Forschung möglichst ohne Tierversuche Standard werden können?

    Damit Forschung möglichst ohne Tierversuche auskommen kann, braucht es vor allem die richtigen Rahmenbedingungen, das heißt: ausreichende finanzielle Förderung für alternative Modelle und Technologien, klare politische und institutionelle Unterstützung sowie passende Infrastruktur am Campus. Wichtig ist auch, dass Forschende ohne viel Aufwand Zugang zu Schulungen, Plattformen und Ressourcen bekommen und dass erfolgreiche tierversuchsfreie Ansätze sichtbar gemacht und anerkannt werden. Wenn solche Voraussetzungen geschaffen werden, können alternative Methoden langfristig selbstverständlich in der Forschung etabliert werden.


    Wie sensibilisieren Sie die Nachwuchswissenschaftler:innen für das Thema 3R?

    Ich hoffe, dass wir den wissenschaftlichen Nachwuchs vor allem über Ausbildung und Vorbilder sensibilisieren. In der Lehre und durch unsere Seminare vermitteln wir früh, wie wichtig das 3R-Prinzip ist und welche modernen tierfreien Methoden es bereits gibt. Gleichzeitig ermutige ich meine Teammitglieder ganz aktiv, „outside the box“ zu denken und neue In-vitro-Modelle für ihre Fragestellungen zu entwickeln, statt automatisch zu Tierversuchen zu greifen. Ein wichtiger Motivationsfaktor ist auch, dass unsere 3R-Ansätze, zum Beispiel durch den Gabor-Szasz-Preis, bereits ausgezeichnet wurden, das zeigt jungen Wissenschaftler:innen, dass innovative, tierfreie Forschung anerkannt und gefördert wird. So entsteht eine Kultur, in der 3R nicht nur Theorie ist, sondern natürlich in die eigene Forschung einfließen kann.