Ausgefragt?! –
Neue Ergebnisse der COPSY-Studie: Zukunftsängste belasten Kinder und Jugendliche, aber sie verfügen über gute mentale Ressourcen
Interview mit Dr. Anne Kaman
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik
Die COPSY-Studie („Child Outcomes in PSYchology“) ist eine Längsschnittstudie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), die die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen untersucht. Ursprünglich wurden vor allem die Auswirkungen der Pandemie auf die Psyche der jungen Generation erfasst. Die Ergebnisse der achten Befragungsrunde zeigen, dass aktuelle gesellschaftliche Diskussionen bei Kindern und Jugendlichen eine große Rolle spielen. Erstautorin der Studie Dr. Anne Kaman, Stellvertretende Leitung der Forschungssektion "Child Public Health" der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik, erläutert, was Kindern und Jugendlichen belastet und was getan werden kann, um Kinder und Jugendliche resilienter zu machen.
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Das Interview zum Nachlesen
Mein Name ist Anne Kaman und ich bin Stellvertretende Leiterin der Forschungssektion „Child Public Health“ der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am UKE.
Sie führen seit der Pandemie die COPSY-Studie durch. Was ist ihr Ziel?
Die COPSY-Studie ist während der Corona-Pandemie entstanden, um zu verstehen, wie sich die Einschränkungen auf die psychische Gesundheit und die Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen auswirken. Inzwischen hat sich der Fokus aber deutlich erweitert. Wir sehen, dass die Pandemie nur der Beginn einer Reihe von Herausforderungen war, die junge Menschen bis heute belasten – etwa der Krieg in Europa oder auch die Klimakrise. Uns interessiert heute vor allem, wie Kinder und Jugendliche mit solchen Krisen umgehen und wie sich ihre psychische Gesundheit langfristig entwickelt.
Wie wird die Studie durchgeführt und wer wird befragt?
Wir befragen bundesweit rund 3.300 Familien mit Kindern zwischen 7 und 23 Jahren. Jugendliche ab 11 Jahren beantworten die Fragen selbst, bei den Jüngeren geben die Eltern Auskunft. Das ermöglicht uns ein sehr differenziertes Bild. Ein Großteil der Familien nimmt seit Beginn der Studie im Jahr 2020 regelmäßig teil. Dadurch können wir Entwicklungen erkennen. Also: Wie verändert sich die psychische Gesundheit? Welche Kinder kommen gut durch Krisen, welche sind besonders belastet – und vor allem: Welche Faktoren tragen denn dazu bei, dass es Kindern und Jugendlichen seelisch gut geht? Das wollen wir verstehen, um daraus Empfehlungen für Prävention und Unterstützung abzuleiten.
Welche Veränderungen konnten Sie in der psychischen Gesundheit der Jugend feststellen?
Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland hat sich während der Pandemie deutlich verschlechtert. Unsere COPSY-Studie zeigt, dass vor Corona rund 18 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychisch belastet waren. Während der Lockdowns stieg dieser Anteil auf bis zu 31 Prozent. Inzwischen – im Herbst 2025 – liegen wir bei 23 Prozent, also deutlich über dem präpandemischen Niveau. Das bedeutet: Noch immer ist jedes fünfte Kind psychisch belastet. Viele Kinder kämpfen noch mit den Nachwirkungen der Pandemie und gleichzeitig belasten sie neue Krisen. Sie sorgen sich um Krieg, Klimawandel und wirtschaftliche Unsicherheiten – und über 60 Prozent berichten heute auch von deutlichen Zukunftsängsten. Zusätzlich erleben viele Kinder und Jugendliche auch gesellschaftliche Uneinigkeit und die aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen als belastend.
Gibt es Unterschiede zwischen den Altersgruppen oder Geschlechtern?
Auffällig ist, dass Mädchen stärker von psychischen Belastungen betroffen sind als Jungen. Vor allem jugendliche Mädchen und junge Frauen im Alter von 14 bis 23 Jahren berichten deutlich häufiger von depressiven Symptomen und auch Angstsymptomen – und dieser Trend hat im Vergleich zu 2024 sogar zugenommen.
Welche Rolle spielt die Nutzung sozialer Medien und KI?
Soziale Medien gehören fest zum Alltag junger Menschen. Unsere Daten zeigen: Sie können sowohl unterstützen als auch belasten. Problematisch wird es vor allem dann, wenn Jugendliche dort ständig mit Krisennachrichten, Vergleichsdruck oder Ausgrenzung konfrontiert sind – das kann Stress und Ängste verstärken. Gleichzeitig bieten soziale Medien natürlich auch Austausch und Unterstützung. Wir sehen in der Studie außerdem, dass auch KI bereits fest im Alltag der Kinder und Jugendlichen verankert ist – vor allem für schulische Zwecke. Nur sehr wenige nutzen KI, um über persönliche Sorgen zu sprechen. Das zeigt, dass KI bislang nicht als emotionaler oder sozialer Ansprechpartner wahrgenommen wird. Entscheidend ist insgesamt, dass Kinder und Jugendliche eine gute Medienkompetenz brauchen, um Inhalte einzuordnen und ihre Nutzung regulieren zu können.
Welche Risikofaktoren tragen zu den Belastungen bei?
Kinder aus Familien mit weniger finanziellen oder sozialen Ressourcen haben meist weniger Möglichkeiten, Belastungen auszugleichen - besonders, wenn zusätzlich ein Elternteil psychisch belastet ist oder wenn die familiäre Situation angespannt ist. Unsere Daten zeigen, dass diese Kinder häufiger Ängste, depressive Symptome und eine geringere Lebensqualität haben. Für diese Kinder und Familien braucht es niedrigschwellige Angebote in Schulen und auch im sozialen Umfeld, um diesen sozialen und gesundheitlichen Ungleichheiten zu begegnen.
Was kann die Gesellschaft tun, um Kinder und Jugendliche resilienter zu machen?
Damit Kinder und Jugendliche Krisen gut bewältigen können, müssen wir ihre Schutzfaktoren stärken – also das, was sie resilient macht. Dazu gehören stabile Beziehungen, Zuversicht, Selbstwirksamkeit und verlässliche Strukturen im Alltag. Besonders wichtig sind Lebenswelten wie Familie und Schule. Schulen brauchen feste psychosoziale Angebote – etwa Schulsozialarbeit oder Schulpsychologie. Und wir brauchen auch Unterstützung für Familien in belasteten Situationen. Die psychische Gesundheit von Kindern ist natürlich auch eine gesamtgesellschaftliche und auch eine politische Aufgabe. Das bedeutet, wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die ein gesundes Aufwachsen ermöglichen, bevor Probleme entstehen und nicht erst danach.