„Ich habe mich ins Leben zurückgekämpft“

Horst Rohde, 67, Kapitän im Ruhestand aus Hamburg

„An diese Szene auf der Intensivstation erinnere ich mich genau: Ärzte stehen am Bett und erklären mir, dass man mich künstlich beatmen müsse. Dass die Überlebenschance aufgrund meiner Vorerkrankung bei 50 Prozent liege. Da habe ich wohl wild dagegen diskutiert und eine Hochdruckbeatmung durch die Nase erhalten. Mir sind die Nasenflügel fast weggeflogen, aber es hat geholfen. Meine Vorerkrankung ist angeboren, sehr selten und heißt Kartagener-Syndrom. Alle Organe sind seitenverkehrt angeordnet: Herz rechts, Blinddarm links, und so weiter. Auch die Flimmerhärchen in den Bronchien und Nasennebenhöhlen funktionieren nicht normal: Sie befördern den Schleim nicht hinaus. Als Kind hatte ich deswegen oft Atemwegsprobleme. Damals kannte man die Ursache noch nicht.

Zuerst wurde meine Frau krank, sie hatte zum Glück einen leichten Verlauf. Mitte März 2020 bekam ich Atembeschwerden und Fieber. Unter der 112 hat sich ein Arzt geweigert, mich ins Krankenhaus einweisen zu lassen. An der 116117 habe ich mir die Finger wund gewählt und als ich endlich einen Fachmann an der Strippe hatte, konnte er keine Atemnot feststellen, da ich angeblich noch ganz normal redete. Seine Kollegin rief kurz darauf nochmal zurück, kam dann ins Haus und diagnostizierte eine beidseitige Lungenentzündung. Meine Frau und ich besorgten uns aus der Apotheke das verordnete Antibiotikum. Wir gingen auch noch auf den Wochenmarkt. Corona hatte ich da noch gar nicht auf dem Zettel. Vielleicht wollte ich meine Beschwerden auch nicht richtig wahrhaben, keine Schwäche zulassen. Als Kapitän auf großer Fahrt habe ich viele Jahre auf Kühlschiffen, Stückgutfrachtern, Supertankern die Weltmeere befahren. Als Seemann ist man ein „Mords-Molly“ und steckt was weg.

Atemnot ist furchtbar, sie löst schlimme Ängste aus. Irgendwann ging es nicht mehr. Ich mailte an meine Ärztin von der Lungenambulanz des UKE, wo ich seit Längerem behandelt werde. Prompte Reaktion: Sofort ins Taxi setzen und herkommen. Ich kam in sehr gute Hände. Das liegt jetzt ein Jahr zurück, seitdem habe ich mich ins Leben zurückgekämpft, bin jeden Tag buchstäblich gegen die Atemschwäche angegangen, habe nach und nach die Wegstrecken verlängert. Die Reha-Kur in Heiligendamm hat mir viel gebracht, meine Lungenfunktion wurde deutlich besser. Doch es gibt Tage, da fühle ich mich erst wie ein junger Gott und plötzlich übermannt mich eine unfassbare Erschöpfung. Beim Lungenfunktionstest lässt sich aber nichts feststellen, das Herz ist ebenfalls in Ordnung.

Seit Corona habe ich zudem Gedächtnisprobleme. „Du hörst mir ja gar nicht zu“, sagte meine Frau mehrmals. Offenbar hatte ich das Gesagte gleich wieder vergessen. Mit dem Kurzzeitgedächtnis ist es mittlerweile besser geworden, Wortfindungsschwierigkeiten habe ich immer noch. Meiner Frau fielen nach der Infektion die Haare aus, das hat sich nach ein paar Wochen wieder gegeben. Ihr Geschmacks- und Geruchssinn ist noch nicht wieder zurückgekehrt. Wir machen daher jetzt Arbeitsteilung: Ich kann nicht kochen, aber für sie das Essen abschmecken...

Uns geht es soweit gut, wir haben viel Glück gehabt, dafür sind wir dankbar. Mit den Einschränkungen können wir umgehen. Und wir träumen: dass irgendwann wieder das normale Leben zurückkommt, dass wir unsere Freunde und Familie wieder wie früher treffen – und reisen dürfen. Nicht in die Ferne, sondern am liebsten als Erstes nach Dänemark. Wir mieten uns in Strandnähe ein Ferienhaus mit Indoor-Pool und genießen das Leben.“


Aufgezeichnet von: Ingrid Kupczik
Foto: Eva Hecht