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Intelligentes EKG

Seit mehr als 100 Jahren ist das EKG im Einsatz, und nach wie vor ist es das gängigste und einfachste Instrument, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkennen. Perfekt ist es nicht, denn Störungen bleiben mitunter lange unentdeckt. Künstliche Intelligenz (KI) kann diese Lücke füllen, wie eine Forschungsgruppe am Universitären Herz- und Gefäßzentrum des UKE zeigt.

Von Ingrid Kupczik

DIE VISION: STÖRUNGEN ERKENNEN, BEVOR SYMPTOME AUFTRETEN

Wissen: Manche Herzstörungen werden im EKG nicht entdeckt

Forschen: Künstliche Intelligenz verbessert die Aussagekraft des EKG

Heilen: Frühe Diagnostik erhöht die Heilungschancen

„Mit geeigneter Software lässt sich das EKG deutlich wirksamer machen“, sagt Dr. Meraj Neyazi, Mitglied in der Arbeitsgruppe Kardiovaskuläre Forschung, Epidemiologie, Biostatistik und Datenmanagement von Prof. Dr. Renate Schnabel. Das gängige EKG könne zwar eine Vielzahl von Informationen liefern, „um bestimmte Erkrankungen im EKG zu erkennen, benötigt man aber die Fachausbildung in der Kardiologie“, so Neyazi, Assistenzarzt in der Klinik und Poliklinik für Kardiologie. Manche Herzerkrankungen führen jedoch zu so feinen Abweichungen in der Herzstromkurve, dass sie selbst von Kardiolog:innen nicht erkannt werden können – oder sie treten zu unregelmäßig auf.

Als Beispiel nennt er das Vorhofflimmern, eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen. Längerfristig unentdeckt und unbehandelt, kann Vorhofflimmern schwerwiegende Folgen haben, insbesondere zum Schlaganfall führen. „Wenn das Flimmern während der EKG-Messung auftritt, ist dies leicht zu erkennen und eine entsprechende Therapie kann eingeleitet werden“, sagt Neyazi. Allerdings komme die Störung in vielen Fällen nur episodisch vor. „Sie wird dadurch möglicherweise nicht erfasst, kann aber ebenfalls einen Schlaganfall verursachen.“

Mit Hilfe von KI Risiko für Herzerkrankungen frühzeitig ermitteln

Eine Software, die auf Deep learning und Massendaten basiert, soll in Zukunft unter anderem helfen, das episodische Vorhofflimmern aufzuspüren. Auch das Risiko für andere Krankheiten könnte mit Hilfe von KI frühzeitig ermittelt werden und das medizinische Personal bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts AFFECT-EU (Digital Risk-based Screening for Atrial Fibrillation in the European Community) kann die Arbeitsgruppe, bestehend aus einem interdisziplinären Team von Ärzt:innen, Statistiker:innen, Medizinstudierenden und den KI-Entwicklern Jan Bremer und Marius Knorr, für ihre Forschung auf einen wertvollen Datenschatz zugreifen: die Hamburg City Health Study (HCHS).

An der vom UKE initiierten Langzeitstudie nehmen bis zu 45.000 Hamburger:innen zwischen 45 und 74 teil und tragen mit ihren Daten dazu bei, dass Volkskrankheiten wie Herzinfarkt, Herzschwäche, Vorhofflimmern, Schlaganfall und Demenz noch besser verstanden werden. Dafür lassen sie sich alle fünf Jahre untersuchen. Über 10.000 Probanden sind bereits dabei und liefern anonymisiert Daten etwa zu EKG, Blutdruck, Operationen und Medikamenteneinnahmen.

Modell hilft bei der Ermittlung von Blutkonzentration eines Biomarkers

Im Mittelpunkt einer weiteren Studie von Dr. Neyazi und Kolleg:innen steht ein Biomarker: NT-proBNP. „Dieses Protein besitzt einen hohen Vorhersagewert für verschiedene Herz- und Gefäßkrankheiten, insbesondere für Herzinsuffizienz.“ Man kann das Protein im Blut messen, als Screening für Jedermann wäre die Methode jedoch zu aufwändig und teuer, so Experte Neyazi. Pfiffige Alternative: Die Forschenden haben ein Modell entwickelt, mit dem sich anhand des EKG die Blutkonzentration des NT-proBNP vorhersagen lässt.

Dazu fütterten sie den Rechner mit den anonymisierten EKG-Daten und Proteinwerten aus der Hamburger Langzeitstudie; die KI fand den Zusammenhang heraus. „Wir gehen davon aus, dass das Herz, wenn es viel von dem Protein NT-proBNP ausschüttet, sich auch in seiner Elektrophysiologie anders verhält.“ Eine entsprechende Software könnte daraus mögliche Erkrankungen ableiten und dem Arzt oder der Ärztin Hinweise auf zukünftige Krankheitsrisiken geben. „Vielleicht hat der Patient noch gar keine Symptome einer Herzinsuffizienz, aber es wäre gut, ihn engmaschig zu kontrollieren oder ihm auch schon Medikamente zu verschreiben.“

KI ersetzt in der Medizin keine Menschen

Mit der Künstlichen Intelligenz in der Medizin sei es wie mit dem Fahrassistenten beim autonomen Fahren, sagt Neyazi. „Sie ermöglicht Dinge, die vorher nicht möglich waren, und ist doch weit davon entfernt, dass sie einen Menschen ersetzen könnte.“ Eine noch gezieltere Früherkennung und Prognostik von Erkrankungen sei wertvoll, aber nur der erste Schritt. „Danach braucht es Menschen, die daraus die richtigen Schlüsse für die Behandlung ziehen.“