zurück zur Übersicht

Unterschätztes Potenzial

Lungenleiden, Herz- und Gefäßerkrankungen, chronische Entzündungen oder Krebs: Bei der Entstehung zahlreicher Krankheiten spielt die innerste Zellschicht der Blutgefäße, das Endothel, eine maßgebliche Rolle. Ein Forscherteam der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik entwickelt Gentherapien, um Fehlfunktionen der Endothelzellen zu beheben.

Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Axel Kirchhof

DIE VISION: WIRKSAME UND SICHERE GENTHERAPIEN

Wissen: Die innerste Zellschicht der Blutgefäße ist ein Schlüssel zur Therapie

Forschen: Virale Genfähren schleusen therapeutische Gensequenzen ein

Heilen: Tumore werden „ausgehungert“, Lungenhochdruck wird besiegt

100.000 km oder 2,5 Erdumrundungen: So lang ist das Gesamtnetz aller Blutgefäße des Menschen. Die kleinsten Gefäße, sogenannte Kapillaren, machen 80 Prozent davon aus. Jedes Gefäß ist mit einer Endothelschicht ausgekleidet, die als Barriere zwischen Blut und Körperzellen fungiert und den Austausch von Wasser, Sauerstoff, Nährstoffen und Stoffwechselprodukten kontrolliert. Auch an der Regulation der Gefäßspannung, von Entzündungsreaktionen sowie der Blutgerinnung sind diese Zellen beteiligt und vermitteln die Regeneration von Blutgefäßen nach schädigenden Einflüssen. Ziel der Forschung von Molekularbiologe Dr. Jakob Körbelin, Lungenfacharzt Dr. Jan Hennigs und dem Team ihres gemeinsamen ENDomics-Labors ist die Entwicklung viraler Vektoren, auch „Genfähren“ genannt. Mit ihrer Hilfe sollen Genabschnitte in die Endothelzellen eingeschleust werden, die Fehlfunktionen korrigieren.

Eingeschleuste Gensequenz kann eine Infektion simulieren

Seit der Corona-Pandemie sind virale Vektoren vielen Menschen im Zusammenhang mit vektorbasierten Impfstoffen ein Begriff. Dabei handelt sich um abgewandelte und damit harmlose Viren, in die die genetische Anleitung für den Bau des Spike-Proteins auf der Oberfläche von SARS-CoV-2 eingebaut wird. Der virale Vektor kann sich nicht vermehren, seine eingeschleuste Gensequenz aber kann eine Infektion simulieren und so die Produktion von Antikörpern und Immunzellen anregen.

Die Endothel-Forscher des UKE entwickeln ihre Genfähren auf Basis adeno-assoziierter Viren (AAV). Diese sind weit verbreitet, fast jeder erwachsene Mensch trägt sie in sich. Sie rufen aber keine Symptome hervor, stehen mit keiner Erkrankung in Verbindung und können sich auch nicht aus eigener Kraft vermehren. „Somit besitzen sie ein ausgesprochen günstiges Risikoprofil und eignen sich besonders gut als Basis für Vektoren“, erläutert Dr. Körbelin und ergänzt, dass virale Vektoren ohnehin nicht mehr viel mit einem Virus gemein haben: „Man entfernt das gesamte Virus-Erbgut und tauscht es gegen ein therapeutisches Gen oder einen Bestandteil davon aus.“

Medizin der Zukunft - Genfähren

Forschungsfeld Krebs: Gentherapie auch hier eine Option?

Das ENDomics-Team forscht intensiv zur AAV-basierten gentherapeutischen Behandlung des Lungenhochdrucks, aber auch zu seltenen erblichen Speicherkrankheiten, bei denen der Abbau bestimmter Stoffwechselprodukte aus den Gehirnzellen aufgrund eines fehlenden Enzyms gestört ist.

Ein weiteres großes Forschungsfeld betrifft Krebs: Das Team arbeitet unter anderem an der Entwicklung von AAV-Vektoren für die Behandlung von Nieren- und Darmkrebs. Diese sollen zielgerichtet in die Endothelzellen eindringen, die den Tumor mit Blut versorgen – und sie zerstören. Denn ohne Blutversorgung kann kein Tumor überleben. „Das Endothel wurde lange Zeit von der Forschung übersehen und in seiner Bedeutung unterschätzt“, sagt Dr. Körbelin. „Heute wissen wir, dass Endothelzellen der Schlüssel zur Behandlung vieler Erkrankungen sind.“



Vorheriger Beitrag:
Reset des Immunsystems

Nächster Beitrag:
Die „Welle der Emotion“ surfen


Übersichtseite
Zurück zur Übersicht