zurück zur Übersicht

Die Pille aus dem Drucker

Im Zeitraffer wirkt das Gerät wie eine Hightech-Nähmaschine. Doch eine individuelle Medikation braucht ihre Zeit: Schicht für Schicht presst die Druckerspitze die aufgeschmolzene Pulvermischung mal quer, mal längs aufeinander, bis die formvollende Tablette aus dem 3D-Drucker fertig ist.

Text: Berit Waschatz, Fotos: Axel Kirchhof

DIE VISION: NOCH GRÖSSERE PATIENT:INNENSICHERHEIT

Wissen: Parkinson-Medikamente müssen individuellem Gesundheitszustand angepasst werden

Forschen: Herstellen von Medikamenten im 3D-Druck-Verfahren in der Klinikapotheke

Heilen: Patient:innenindividuelle Dosis verbessert Wirksamkeit und erhöht Patient:innensicherheit

„Bei schwer kranken Patient:innen ist die Medikation manchmal schwer zu dosieren und industriell gefertigte Medikamente bieten hier keine Lösung. Mit dem 3D-Druck-Verfahren können wir digital und automatisiert eine patient:innenindividuelle Dosis herstellen“, erklärt Dr. Michael Baehr, Leiter der Klinikapotheke des UKE. Auch ältere Menschen, die mehrere Medikamente einnehmen müssen, oder Kinder, für die es häufig keine altersgerecht dosierten Medikamente gibt, könnten von dem neuen Verfahren profitieren. „Mithilfe von Medikamenten aus dem 3D-Drucker könnten wir künftig verschiedene Wirkstoffe in nur einer Tablette, einer Polypill, kombinieren oder die Medikationen für Kinder viel präziser steuern. Das erhöht die Patient:innensicherheit.“


Rund 18.000 Arzneimittel täglich für UKE-Patient:innen

Jeden Tag stellen die Mitarbeitenden der Klinikapotheke für die Patient:innen auf den Stationen rund 18.000 Arzneimittel zusammen. Einige davon müssen sie händisch anfertigen. Das neue Forschungsprojekt könnte das Leben zahlreicher Patient:innen und den Alltag der Klinikapotheker:innen erleichtern. In einer von der Europäischen Union geförderten Machbarkeitsstudie wollen die Wissenschaftler:innen der Klinikapotheke zeigen, dass der 3D-Druck von Arzneimitteln möglich ist, in den bestehenden, digitalen Medikationsprozess des UKE integriert werden kann und sich zudem mit Algorithmus-gestützten Patient:innendaten kombinieren lässt.

Ein Mitarbeiter der Apotheke bei der Arbeit, ein Medikament mit dem 3D-Drucker zu drucken

Im ersten Schritt haben die Forschenden bereits einen geeigneten 3D-Drucker identifiziert, mit dem Arzneimittel nach pharmazeutischen Qualitätskriterien hergestellt werden können. Mit diesem 3D-Drucker können aus Filament, Pulvermischungen und halbfesten Zubereitungen Schicht für Schicht patient:innenindividuell dosierte Arzneimittel gedruckt werden. „Wir verarbeiten im Vorfeld die Hilfststoffe und den Wirkstoff zu einer homogenen Mischung, der 3D-Drucker erhitzt diese Mischung und druckt daraus Tabletten in der Größe und Menge, die wir ihm vorgeben“, erklärt Adrin Dadkhah, Apotheker im Projektteam.

Der 3D-Drucker produziert die zuvor definierte Menge an Tabletten, deren Dosis individuell auf die Patient:innen abgestimmt ist

Wirkstoff Levodopa zur Parkinsonbehandlung

Den Wirkstoff, mit dem in der Studie gearbeitet wird, haben die Wissenschaftler:innen der Klinikapotheke gemeinsam mit Ärzt:innen verschiedener Fachrichtungen in einer UKE-weiten Online-Umfrage und in Interviews ausgewählt. Ihre Wahl fiel auf die Substanz Levodopa, mit dem Patient:innen mit einer Parkinsonerkrankung therapiert werden. „Levodopa eignet sich gut für den 3D-Druck und ist zudem auch klinisch relevant. Der Wirkstoff kann mit verschiedenen Komponenten kombiniert werden und die benötigten Dosen variieren je nach Gesundheitszustand der Patient:innen“, erklärt Prof. Dr. Christian Gerloff, Direktor der Klinik für Neurologie des UKE.

Die Pille aus dem Drucker

Die Foschenden der Klinikapotheke haben bereits eine passende Rezeptur entwickelt, mit der das Arzneimittel mit dem 3D-Drucker hergestellt werden kann. „Wir haben uns Schritt für Schritt an die richtige Zusammensetzung herangetastet und auch verschiedene Hilfsstoffe ausprobiert. Hier haben wir uns im Miligramm-Bereich bewegt“, erklärt Dadkhah.

Bei der Bestimmung der patient:innenindividuell optimalen Dosis soll ein computerbasierter Lösungsplan (Algorithmus) unterstützen, der Daten aus intelligenten elektronischen Geräten verwendet, die nahe an der Hautoberfläche getragen werden (Smart Wearable Devices), wo sie unter anderem Bewegungsdaten messen. Hierfür arbeiten die Wissenschaftler:innen der Klinikapotheke eng mit denen des von Prof. Dr. Frank Ückert geleiteten Instituts für angewandte Medizininformatik des UKE zusammen. „Patient:innen mit einer Parkinson-Erkrankung leiden mitunter an einem Tremor und müssen je nach Gesundheitszustand unterschiedliche Dosen einnehmen, um den Tremor in den Griff zu bekommen. Um die Dosis besser zu adjustieren, können Bewegungsdaten der Patient:innen helfen. Diese Daten sollen vom Algorithmus ausgewertet werden“, erklärt Dr. Sylvia Nürnberg, Teamleiterin im Institut für angewandte Medizininformatik.

Das Projektteam der Apotheke bei der Arbeit, ein Medikament mit dem 3D-Drucker zu drucken

Sensoren zeichnen Bewegungsmuster auf

Bevor das Team um Prof. Ückert den Algorithmus aber verlässlich entwickeln kann, muss er trainiert werden; er muss wissen, welches Bewegungsmuster des Tremors zu welchem Gesundheitszustand gehört. Aus diesem Grund sollen in einer klinischen Studie Patient:innen mit einer Parkinsonerkrankung, die von Priv.-Doz. Frau Pötter-Nerger in der Klinik für Neurologie behandelt werden, mit einer elektronischen Armbanduhr mit Sensoren (Smart Watches) ausgestattet werden, die diese Bewegungsmuster unter klinischen Bedingungen aufnehmen. Liegen diese Daten vor, können die Medizininformatiker:innen den Algorithmus entsprechend mit Vergleichsdaten „füttern“ und ihn so in die Lage versetzen, die benötigte patient:innenindividuelle Dosierung zu erkennen und den richtigen Befehl zum Druck zu erteilen. Danach wollen die Wissenschaftler:innen den 3D-Druck-Prozess noch an den digitalen Medikationsprozess des UKE anschließen.

Mit ihrer Studie gehen die Forschenden der Klinikapotheke neue Wege. Bislang gibt es erst ein gedrucktes Arzneimittel, das eine Marktzulassung in den USA erhalten hat. „Dass es noch keine weiteren Zulassungen gibt, liegt vor allem an den komplizierten regulatorischen Prozessen. Außerdem scheitert die Integration des 3D-Drucks in die Gesundheitsversorgung aktuell auch an den Erfordernissen eines digitalen Umfelds“, sagt Dr. Baehr. „Wir als UKE wollen mit dem von der EU geförderten Forschungsprojekt zeigen, wie die Integration des 3D-Drucks in das digitale klinische Umfeld gelingen kann.“

Weitere Informationen aus der Klinikapotheke zum 3D-Druck von Arzneimitteln finden Sie unter www.uke.de/3d-medikamente

Der 3D-Drucker im Einsatz

Der 3D-Drucker produziert die zuvor definierte Menge an Tabletten, deren Dosis individuell auf die Patient:innen abgestimmt ist. Sehen Sie den 3D-Drucker im Einsatz, wie er Schritt für Schritt, Bahn für Bahn das Medikament zu einer Form zusammensetzt.

Dr. Michael Baehr

leitet seit 1991 die UKE-Klinikapotheke. Im gleichen Jahr promovierte er auf dem Gebiet der Pharmazeutischen Technologie. Er hat langjährige Erfahrungen in der Einführung elektronischer Verordnungssysteme, patient:innenbezogener Arzneimittelversorgung und klinisch-pharmazeutischer Dienstleistungen.


Digitaler Medikationsprozess

Im UKE wird in allen Klinikbereichen ein digitaler Medikationsprozess genutzt. Ärztliche Anordnungen werden in der elektronischen Verordnungssoftware erfasst, von Apotheker:innen auf den Stationen geprüft und an die Klinikapotheke übertragen. Dort werden die verschriebenen Arzneimittel computergesteuert einzeln verpackt und beschriftet. Auf der Station verabreichen die Pflegenden die Medikamente nach der Kontrolle des Patient:innenarmbandes. So wird ein Höchstmaß an Patient:innensicherheit im Medikationsprozess sichergestellt.



Vorheriger Beitrag:
Lebende Medikamente

Nächster Beitrag:
Der bessere Blick


Übersichtseite
Zurück zur Übersicht