Ösophagusatresie


Was ist eine Ösophagusatresie?

Bei der Ösophagusatresie handelt es sich um eine angeborene Unterbrechung (Atresie) der Speiseröhre (Ösophagus) bei Neugeborenen. Sie tritt in unterschiedlichen Formen mit oder ohne Verbindung (Fistel) zur Luftröhre (Trachea) sowie variablem Abstand zwischen dem oberen (proximal) blind endenden Speiseröhrenstumpf und dem unteren (distal) Speiseröhrenstumpf auf. Die Inzidenz liegt bei einer auf etwa 3000 Geburten in Deutschland.

Die Klassifikation der Ösophagusatresie erfolgt nach Vogt. Die häufigste Form Vogt IIIb weist einen oberen Speiseröhrenblindsack sowie eine Verbindung zwischen dem unteren dünnen Speiseröhrenstumpf und der Luftröhre (distale tracheoösophageale Fistel) auf. Man unterscheidet eine „kurzstreckige“ von einer „langstreckigen“ Form.

Von einer langstreckigen Form der Ösophagusatresie wird gesprochen, wenn der Abstand der Speiseröhrenstumpfenden mehr als drei Zentimeter oder zwei Wirbelkörper beträgt. Die Therapie der Wahl ist der Verschluss der Fistel und die primäre Verbindung (Anastomose, Speiseröhrennaht) der Speiseröhrenenden. Die Ösophagusatresie ist häufig mit anderen Fehlbildungen (Herz, Lunge, Magen-Darm-Trakt, Nieren, ableitende Harnwege, Geschlechtsorgane, muskuloskelettal, Gesicht) assoziiert, darunter fallen die VACTERL-Assoziation (Englisch: vertebral, anorectal, cardiac, tracheo-esophageal, renal, limb) und CHARGE-Assoziation (Englisch: coloboma, heart defects, atresia chonae, retarded growth, genital hypoplasia and ear deformities).


Was sind die Ursachen der Ösophagusatresie?

Die Ursachen der Ösophagusatresie sind bis heute unklar. Eine Ösophagusatresie entsteht sehr früh in der Schwangerschaft. Denn die Luft- und Speiseröhre entstammen einer gemeinsamen embryonalen Anlage und trennen sich etwa in der vierten Schwangerschaftswoche voneinander. Sofern dieser Prozess gestört wird, resultieren Fehlbildungen der Luft- und Speiseröhre. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung kann das Auftreten einer Ösophagusatresie nicht verhindert werden.


Kann eine Ösophagusatresie vor der Geburt (pränatal) diagnostiziert werden?

Der Verdacht auf eine Ösophagusatresie wird häufig bereits vor der Geburt im Ultraschall (seltener magnetresonanztomographisch) gestellt. Je nach Form der Ösophagusatresie ist der Fetus nicht in der Lage, Fruchtwasser zu schlucken, sodass vor allem bei fehlender distaler Fistel ein Polyhydramnion (Vermehrung der Fruchtwassermenge) vorliegen könnte. Zusammen mit einem kleinen Magen wird das Vorliegen einer Ösophagusatresie sehr wahrscheinlich.


Was passiert während der Schwangerschaft?

Während der Schwangerschaft und nach der Geburt bieten wir als Centrum für angeborene Fehlbildungen Hamburg - Center for congenital Anomalies - (CCA Hamburg) eine enge Betreuung an. Auf Ihren Wunsch erfolgen die Kontrolluntersuchungen während der Schwangerschaft im Universitären Perinatalzentrum des UKE. Dabei lernen Sie die einzelnen Fachdisziplinen kennen und werden über die Abläufe nach der Geburt informiert.

Als Centrum für angeborene Fehlbildungen verfügt unser multidisziplinäres Pflege- und Ärzt:innen-Team aus Kinderkrankenpflegekräften, Pränatalmediziner:innen, Gynäkolog:innen, Geburtshelfer:innen, Neonatolog:innen, Kinderärzt:innen, Kinderpneumolog:innen, Kinderanästhesist:innen, Kinderkardiolog:innen, Kinderherzchirurg:innen, Kindernephrolog:innen und Kinderchirurg:innen über eine langjährige Expertise in der Behandlung und Nachsorge der Ösophagusatresie sowie ihrer Begleitfehlbildungen und Komplikationen. Zudem besteht eine enge Zusammenarbeit mit den Kinderpneumolog:innen und Kinderorthopäd:innen des Altonaer Kinderkrankenhaus in Hamburg.


Was passiert unmittelbar nachdem das Baby geboren wurde?

Die Primärversorgung findet im Kreißsaal durch die Kolleg:innen der Sektion Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin des UKE statt. Das Neugeborene mit einer Ösophagusatresie präsentiert sich nach der Geburt mit vermehrtem Speicheln, Husten und Zyanose (bläuliche Verfärbung der Haut oder Schleimhäute im Sinne einer Minderdurchblutung), da es den Speichel im oberen Mund-Rachen-Raum ansammelt, statt ihn zu schlucken. Der Versuch, eine Magensonde zu legen, gelingt in einem solchen Fall nicht.

Im Röntgen vom Brustkorb (Thorax) und Bauchraum (Abdomen) erscheint meist die im oberen Speiseröhrenblindsack umschlagene Magensonde. Falls Luft im Bereich des Magen-Darm-Traktes zu sehen ist, liegt eine untere tracheoösophageale Fistel vor. Wenn der Bauchraum luftleer erscheint oder der Befund nicht eindeutig ist, sollte zur Diagnosestellung und Lokalisation der Fistel eine Bronchoskopie (Atemwegsspiegelung) erfolgen. Falls es zu einer unabsichtlichen Einatmung (Aspiration) von Speichel oder von Magensaft in die Atemwege gekommen ist, kann dies zu einer Lungenentzündung (Pneumonie) führen.

Bei wiederholtem Auftreten von Aspirationen oder Pneumonien im Neugeborenenalter sollte eine isolierte tracheoösophageale Fistel mittels Bronchoskopie und Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (Spiegelung von Speiseröhre, Magen und Zwölffingerdarm) ausgeschlossen werden. Wenn das Neugeborene sich von der Atmung erschöpfen sollte, wird eine invasive Beatmung durch die Kolleg:innen der Sektion Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin durchgeführt. Dabei gilt der Grundsatz, dass jedem Neugeborenen diejenige Betreuung angeboten wird, die es benötigt, und eben nicht mehr. Zudem erfolgt das Einlegen einer Schlürfsonde - ähnlich einer Magensonde - nur mit Sog, die kontinuierlich den Speichel aus dem Mund-Rachen-Raum und oberen Speiseröhrenblindsack absaugt. Sobald die Beatmungs- und Kreislaufsituation sich stabilisiert hat, werden ergänzend Ultraschalluntersuchungen des Herzens, des Bauchraums und der ableitenden Harnwege durchgeführt, um etwaige Fehlbildungen zu detektieren und entsprechend früh die Behandlung in die Wege zu leiten.


Wie wird die Ösophagusatresie behandelt?

Orientiert an den Behandlungsempfehlungen des europäischen Referenznetzwerks ERNICA gehören die offenen und minimalinvasiven sowie die primären und sekundären Korrekturmethoden zum operativen Standard unseres Centrums für angeborene Fehlbildungen und werden von langjährig erfahrenen Kinderchirurg:innen unseres Teams, die sich auf Korrektur und Komplikationen angeborener Fehlbildungen spezialisiert haben, durchgeführt.

Es erfolgen ausführliche Gespräche mit Ihnen als Eltern über das operative sowie postoperative Management. Die Behandlungsstrategie wird anhand des Abstands, der Form der Ösophagusatresie sowie der Risikofaktoren festgelegt und wird in manchen Fällen während der Operation nach Sichten des Befundes angepasst werden. Das primäre Ziel der chirurgischen Behandlung ist der Verschluss der tracheoösophagealen Fistel und die Herstellung der Speiseröhrenkontinuität.

Sofern keine Kontraindikationen (Faktoren, die gegen eine Maßnahme sprechen) bestehen (wie etwa schwerer Herzfehler oder ein Geburtsgewicht unter 2000 Gramm), führen wir den Eingriff in minimalinvasiver Technik (Thorakoskopie) durch. Bei instabilen Neugeborenen ist es gelegentlich notwendig, die Erstoperation auf den Fistelverschluss und die Anlage einer Gastrostomie (chirurgisches Anlegen einer künstlichen Mündung des Magens auf der Bauchdecke) zur Ernährung zu beschränken. Die Rekonstruktion der Speiseröhre erfolgt dann sekundär nach Stabilisierung des Neugeborenen.

Bei sehr großen Abständen (langstreckige Form) führen wir in unserem Centrum meistens einen sogenannten Magenhochzug mit Schlauchmagen durch. Dabei wird der Magen teilweise in den Brustkorb mobilisiert und damit die Lücke überwunden. Alternativ kann die Speiseröhre gedehnt (zum Beispiel über die Foker-Methode) oder ein Darminterponat verwendet werden. Mit allen Methoden sind unsere Kinderchirurg:innen vertraut. Der Magenhochzug bietet nach unseren Erfahrungen die besten Ergebnisse.

Ein Sonderfall sind die Formen mit einer langstreckigen Atresie ohne Fistel (Vogt Typ 2). Bei diesen Kindern legen wir in den ersten Lebenstagen eine Gastrostomie an und führen die Anastomose sechs bis zwölf Wochen später - möglichst bei einem Körpergewicht von mehr als 2000 Gramm - durch. Das Ziel ist eine primäre Anastomose. Sollte diese nicht möglich sein, wird in unserem Zentrum ein Magenhochzug durchgeführt.

Neugeborene mit einer Ösophagusatresie, bei denen eine primäre Anastomose durchgeführt wurde, bleiben in unserem Centrum durchschnittlich zwei Wochen nach der Operation im Krankenhaus (sofern keine anderen Risikofaktoren bestehen). Die Kinder können unmittelbar postoperativ über eine Magensonde ernährt werden. Nach einer Woche werden die Kinder bei unauffälligem postoperativen Verlauf langsam oral ernährt und bei guter Gewichtsentwicklung nach Hause entlassen. Bis zum Erreichen eines kompletten Kostaufbaus mit stabiler Gewichtszunahme können in einigen Fällen Magensonden und Ernährungssonden über den Magen oder Leerdarm als überbrückende Maßnahmen sehr nützlich sein.


Wie werden Sie als Eltern auf den Alltag zu Hause vorbereitet?

In unserem Centrum für angeborene Fehlbildungen zeigen wir Ihnen individuell die wesentlichen Maßnahmen bei Ihrem Kind. In erster Linie fördern wir Sie und Ihr Kind dabei, sich aneinander zu gewöhnen, und sensibilisieren Sie auf mögliche Auffälligkeiten, die eine akute medizinische Versorgung erfordern. Hierzu gehören die Erläuterung von Komplikationen und Langzeitfolgen einer Ösophagusatresie sowie die Anleitung für erforderliche Maßnahmen (zum Beispiel ein Erste-Hilfe-Kurs mit Übungen an einer Säuglingspuppe). Aus diesem Grund ist es uns ein wichtiges Anliegen, dass Ihnen als Eltern ermöglicht wird, Ihren Schützlingen stets nahe zu sein sowie gleichzeitig in direktem Kontakt mit den behandelnden Ärzt:innen und Kinderkrankenpflegekräften zu bleiben. Während des Zeitraums der intensivmedizinischen Behandlung organisieren wir gern eine Unterkunft für Sie als Eltern im centrumsnahen Ronald McDonald Haus in Hamburg-Eppendorf.


Wie ist die langfristige Prognose von Kindern mit Ösophagusatresie?

Grundsätzlich erreichen Kinder mit einer korrigierten Ösophagusatresie heute eine sehr gute Lebensqualität. Maßgeblich beeinflusst wird die Entwicklung vom Operationsergebnis, einer Frühgeburtlichkeit, Lungenentzündungen, schwerwiegenden Begleitfehlbildungen (insbesondere schweren Herzfehlern) oder Komplikationen (zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Ernährung und Atmung, Anastomoseninsuffizienz, Fistelrezidiv, Speiseröhrenstrikturen, -stenosen, gastroösophagealem Reflux, Tracheomalazie, Schluckbeschwerden, Störung der Speiseröhrenbeweglichkeit oder eines ALTE - eines Apparent life-threatening events). Rekonstruktionen von langstreckigen Formen gehen mit einem deutlich erhöhten Komplikationsrisiko einher. Strikturen können durch mehrfache Dilatationen mittels Bougierung/Ballon in den ersten sechs Monaten nach Korrekturoperation gut behandelt werden.


Wie ist die Nachsorge?

Kinder mit einer korrigierten Ösophagusatresie benötigen eine lebenslange multidisziplinäre strukturierte Nachsorge. Daher bieten wir in unserem Centrum für angeborene Fehlbildungen eine kinderchirurgische Spezialsprechstunde für angeborene Fehlbildungen an und begleiten die Kinder bis zum Erreichen des 18. Lebensjahrs (in einigen Fällen auch darüber hinaus). So können wir auf eventuelle Beschwerden oder Komplikationen rechtzeitig reagieren und stets an der Verbesserung der Lebensqualität mitwirken.

Zusätzlich empfehlen wir eine Anbindung an die Selbsthilfeorganisation KEKS

Für akute Angelegenheiten oder Notfälle steht die Notaufnahme des Kinder-UKE selbstverständlich jederzeit zur Verfügung.