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Gewebemolekülen auf der Spur

Ein neues Kapitel der Geschichte der bioanalytischen Forschung möchte aktuell ein rund zehnköpfiges Team aus der Sektion Massenspektrometrie und Proteomanalytik schreiben: Es entwickelt ein Hochleistungsinstrument, mit dem sich kleinste, mit bloßem Auge nicht sichtbare Probenvolumen (Picoliter) gezielt aus Geweben entnehmen lassen – und dies unter gleichzeitiger Homogenisierung für nachfolgende umfassende Analysen von Biomolekül-Klassen.

Text: Katja Strube, Fotos: Axel Kirchhof

DIE VISION: MIT NEUER TECHNIK MECHANISMEN DER KRANKHEITSENTSTEHUNG ERFORSCHEN

Wissen: Nach Probenentnahme verändern sich viele Moleküle irreversibel

Forschen: Mit neuem Verfahren Abbauprozesse stoppen

Heilen: Schnelle und schonende Gewebeanalyse für bessere Diagnostik

Die Zusammensetzung der Moleküle eines Gewebes im kleinsten Maßstab untersuchen – das wird etwa dann lebenswichtig, wenn bei einer Operation ein Tumor entfernt wird und die operierenden Ärzt:innen idealerweise in Minutenschnelle wissen müssen, ob sie alles bösartige Gewebe aus dem Körper entnommen haben oder sich an den Schnitträndern noch bösartige Zellen befinden. „Für die Analyse von Molekülen aus Geweben zum Beispiel mit der Massenspektrometrie mussten nach Probennahme die Proben bisher erst homogenisiert werden. Während der Homogenisierung werden viele Moleküle durch chemische und enzymatische Reaktionen verändert“, so Prof. Dr. Hartmut Schlüter, Leiter der zum Zentrum für Diagnostik gehörenden Sektion Massenspektromie und Proteomanalytik. Mit dem neu entwickelten Gerät, genannt 3D-MiTi-LAb, kann Gewebe hingegen gleichzeitig zielgerichtet entnommen und homogenisiert werden, wodurch der Blick auf die ursprüngliche Zusammensetzung der Moleküle im Gewebe möglich wird.

Das Namensakronym 3D-MiTi-LAb steht für „3-Dimensional Micro-Tissue-Sampling Laser-Ablation“. Genutzt werden dabei bildgebende Verfahren, klassische Mikroskopie und die sogenannte optische Kohärenztomographie (englisch: optical coherence tomography, kurz OCT), mit der sich Gewebeproben dreidimensional kartographieren lassen.

Ein neues Kapitel der Geschichte der bioanalytischen Forschung möchte aktuell ein rund zehnköpfiges Team aus der Sektion Massenspektrometrie und Proteomanalytik schreiben

Vielfältige Analysen in Kooperation mit weiteren UKE-Laboren

„Für unser Verfahren werden die Gewebeproben sofort nach der Entnahme eingefroren, sodass Abbauprozesse gestoppt sind“, erläutert Prof. Schlüter. Aus dem gefrorenen Gewebe können dann mittels dreidimensionaler Bilder genau lokalisierte Stellen dem Gewebe entnommen werden. Dafür werden per Pico- und Nano-Sekunden-Infrarot-Laser (PIRL, NIRL) kleinste, nur wenige Zellen große Bereiche kalt verdampft. „Wir nutzen dabei die Gewebe-eigenen Wassermoleküle, die durch Bestrahlen mit dem Laser mit Energie aufgeladen werden und infolgedessen sich explosionsartig in die Atmosphäre bewegen und ein Aerosol bilden. Im Aerosol sind nicht nur die Wassermoleküle, sondern alle Moleküle des Gewebes“, erläutert Prof. Schlüter. Die im Aerosol befindlichen Moleküle stehen dann dem Labor für die Proteom-Analyse, also die Untersuchung der Gesamtheiten von Proteinen, zur Verfügung. In Kooperation mit weiteren Laboren auf dem UKE-Campus sind auch Transkriptom-, Lipidom- und Metabolom-Analysen, also Nukleinsäuren-, Fett- und Stoffwechsel-Analysen, möglich.

Als geradezu sensationell wertet Prof. Schlüter, dass er mit seinem Team auf diese Weise etwa den Proteinbaustein Arginin in Lebergewebe nachweisen konnte – eine Aminosäure, die in herkömmlichen Verfahren nicht nachweisbar war, weil sie während der konventionellen Gewebe-Homogenisierung sehr schnell von Enzymen umgewandelt wird. „Die gleichzeitige und extrem schnelle Probennahme und Homogenisierung verhindert die Veränderung der Moleküle“, betont der Bioanalytiker. Selbst sehr empfindliche Boten-Ribonukleinsäuren (mRNA) bleiben intakt und haben eine ähnliche Qualität wie mRNA, gewonnen mit herkömmlicher Homogenisierung. „Bedingt durch die sehr schnelle und schonende Laser-basierte Probenvorbereitung ist erstmals der Zugriff auf die ursprüngliche Zusammensetzung der Moleküle im Gewebe möglich – eine wichtige Voraussetzung für die Erforschung der Mechanismen, wie Krankheiten entstehen“, so Prof. Schlüter.

Analysezeit verkürzen, Belastung für Patient:innen reduzieren

In Zukunft können mit diesem Instrument wissenschaftliche Fragen zur Krankheitsentstehung deutlich genauer beantwortet werden. Im Fall der Entfernung von Tumoren durch chirurgische Eingriffe wird das neuartige Gerät helfen, die Analysezeit und damit die Zeit der Narkose erheblich zu verkürzen, was die Belastung der Patient:innen deutlich reduziert. In der medizischen Grundlagenforschung könnte die Identifikation von Schlüsselproteinen schneller gelingen, die die Basis für die Entwicklung neuer Wirkstoffe sind; zum Beispiel solche, die bestimmte Enzyme im Körper hemmen und so die Behandlung von Stoffwechselerkrankungen ermöglichen. Entwicklungsleiter Dr. Jan Hahn, promovierter Ingenieur, treibt nun die Automatisierung des neuartigen Analysemodells voran.

Die Sektion Massenspektrometrie und Proteomanalytik gehört zu den sogenannten Core Facilites der UKE-Forschung. Dabei handelt es sich um zentrale Forschungseinrichtungen, die ihre Geräte und Kompetenzen allen Bereichen zugänglich machen.

Weitere Informationen zum Team von Prof. Schlüter und Kontaktmöglichkeiten finden Sie hier.

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