Zwangsstörungen (Obsessive-Compulsive Disorder – OCD) zählen zu den psychischen Erkrankungen. Sie sind gekennzeichnet durch wiederholt auftretende, sich spontan aufdrängende Gedanken oder Impulse (Zwangsgedanken), die in der Regel als übertrieben und irrational erlebt werden, sich aber nicht ignorieren oder unterdrücken lassen. Beispiele hierfür sind die Angst, sich mit einer schweren Krankheit anzustecken oder eine Katastrophe auszulösen. Hinzu kommen intensive, ritualisierte, mit hohem Leidensdruck einhergehende Verhaltensweisen (Zwangshandlungen) wie z. B. Waschen oder Kontrollieren, die dazu dienen, kurzzeitig ein vermeintliches Gefühl der Sicherheit herzustellen oder unangenehme Gefühle (z. B. Angst, Scham, Ekel) zu verringern.
Die Betroffene wissen zumeist, dass ihre Gedanken oder Verhaltensweisen übertrieben oder unbegründet sind, können sie aber dennoch nur schwer ignorieren. Eine Zwangsstörung kann einen erheblichen negativen Einfluss auf die Lebensqualität haben.
[Film zur Erkrankung]
Etwa 1 bis 3 % der Allgemeinbevölkerung sind im Laufe ihres Lebens von einer Zwangsstörung betroffen. Zwangsstörungen beginnen meist in der Jugend und zeigen zwei Häufigkeitsgipfel: kurz vor der Pubertät und im jungen Erwachsenenalter.
Jede fünfte Zwangsstörung beginnt bereits vor dem Alter von 10 Jahren und 60 % vor dem Alter von 25 Jahren. Zwangsstörungen treten bei beiden Geschlechtern etwa gleich häufig auf. Auffällig ist jedoch, dass Männer häufiger in jüngerem Alter betroffen sind.
Es vergehen im Durchschnitt 6 bis 9 Jahre zwischen dem ersten Auftreten von Symptomen der Zwangsstörung und der Inanspruchnahme fachgerechter Behandlung. Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn kann den Krankheitsverlauf nachweislich positiv beeinflussen.
Typische Symptome sind:
Jüngere Kinder können Zwangsgedanken und Zwangshandlungen in der Regel nicht voneinander trennen und eine Einsicht in die Unsinnigkeit der Zwänge kann gänzlich fehlen.
Die Ursachen sind vielfältig und noch nicht vollständig verstanden. Man geht von einem Zusammenwirken biologischer und psychosozialer Faktoren aus. Eine Rolle spielen:
Die Diagnosestellung sollte durch Fachärzt:innen für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzt:innen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder approbierte psychologische Psychotherapeut:innen erfolgen. Bei Kindern und Jugendlichen sollte die Diagnose und Therapie von Fachärzt:innen oder Psychotherapeut:innen mit Spezialisierung auf den Kinder- und Jugendbereich gestellt werden. Da Betroffene ihre Symptome aus Scham häufig lange verschweigen oder verharmlosen, ist es für Behandelnde besonders wichtig, gezielt und sensibel nach möglichen Zwangssymptomen zu fragen. Ein Verdacht auf eine Zwangsstörung besteht, wenn eine der folgenden Screening-Fragen mit Ja beantwortet wird und zudem eine Beeinträchtigung erlebt wird:
Bei Kindern und Jugendlichen können zusätzliche Fragen an die Eltern gestellt werden, z. B. ob das Kind unangenehme Gedanken oder Sorgen hat, die nicht weggehen wollen, oder Gewohnheiten, die es nicht stoppen kann.
Zwangsstörungen lassen sich gut behandeln. Die Therapie der ersten Wahl ist die kognitive Verhaltenstherapie inklusive Exposition mit Reaktionsverhinderung. Während der Expositionstherapie setzen sich Patient:innen gezielt angstauslösenden Situationen aus, ohne anschließend Zwangshandlungen auszuführen. Die wiederholte Konfrontation führt dazu, dass die Angst nachlässt und die Betroffenen erfahren, dass die befürchteten negativen Konsequenzen nicht eintreten. Die Exposition ist gut planbar, wird eng begleitet und ist nicht gefährlich. Bei starker Symptomatik, Komorbiditäten (wie z. B. Depression) oder wenn keine Psychotherapie verfügbar ist, kann auch psychopharmakologische Behandlung mit SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) eingesetzt werden. In komplexen Fällen können verschiedene Ansätze auch kombiniert werden; teilweise gibt es auch eine Indikation für stationäre oder tagesklinische multimodale Behandlungen. Eine frühzeitige Behandlung wirkt sich positiv auf die Prognose aus.
Zwangsstörungen verlaufen meist chronisch, wenn sie unbehandelt bleiben. Mit entsprechender und leitliniengerechter Behandlung ist die Prognose günstig. Es sind deutliche Verbesserungen bis hin zu vollständiger Symptomfreiheit möglich. Auch wenn eine Zwangsstörung schon lange besteht, lohnt sich der Beginn einer Psychotherapie.
Prof. Dr. Lena Jelinek
Dr. med. univ. Amir H. Yassari, MSc.
Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Steffen Moritz
Dr. Jakob Scheunemann
PD Dr. Franziska Miegel
Frances Bohnsack
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Zugang nur für Studierende und Mitarbeiter:innen des UKEs
Eine am UKE entwickelte Intervention ist das Metakognitive Training für Zwangsstörungen (Z-MKT), das typische Denkverzerrungen wie Perfektionismus oder ein überhöhtes Verantwortungsgefühl adressiert. In neueren Studien erforschen wir neben der Wirksamkeit auch prozessuale Wirkmechanismen – also nicht nur, ob die Therapie wirkt, sondern auch wie sie wirkt.
Ein weiterer Fokus liegt auf der Kompakttherapie Bergen 4-Day Treatment (B4DT). Als erster Standort in Deutschland bieten wir dieses innovative Behandlungsformat an, bei dem die Therapie innerhalb von vier Tagen – anstelle eines stationären Aufenthalts über mehrere Monate – durchgeführt wird. Die Umsetzung begleiten wir durch mehrere Forschungsprojekte.
Darüber hinaus entwickeln wir technikgestützte Therapieansätze. Mit Virtual und Mixed Reality (VR/MR) simulieren wir Konfrontationen mit typischen Zwangsauslösern, um Expositionsbehandlungen flexibler und gezielter gestalten zu können. Ergänzend testen wir App-gestützte Interventionen, um Patient:innen auch zwischen den Therapiesitzungen oder außerhalb klassischer Settings zu unterstützen. In einer erste Pilotstudie haben wir den Einsatz von einer avatargestützen Intervention auf die Krankheitseinsicht bei Zwangsstörungen untersucht.
Seit über 50 Jahren bieten wir auf unserer Station ein spezialisiertes Behandlungskonzept für Zwangsstörungen im stationären und tagesklinischen Rahmen an. Die Behandlung erfolgt multimodal und stützt sich auf ein großes, multiprofessionelles Team aus Psychotherapeut:innen, Ärzt:innen, spezialisierten Pflegefachkräften und Spezialtherapeut:innen. Unsere therapeutische Arbeit basiert schwerpunktmäßig auf verhaltenstherapeutischen Methoden, mit besonderem Fokus auf Expositionsübungen. Dabei begleiten wir unsere Patient:innen aktiv bei der Konfrontation mit auslösenden Situationen, um den Zwang nachhaltig zu reduzieren. Ein zentrales Element unseres Konzepts ist die bezugspflegerische Arbeit, die die klassische Einzelpsychotherapie wirkungsvoll ergänzt. Durch die enge Zusammenarbeit mit praxiserfahrenen Pflegefachpersonen erweitern wir das therapeutische Spektrum gezielt im Alltag der Patient:innen. Im Rahmen unseres multimodalen Ansatzes kombinieren wir unterschiedliche Verfahren, um den individuellen Genesungsprozess bestmöglich zu unterstützen. Ergänzend zu psychotherapeutischen Gruppenangeboten – wie etwa metakognitivem Training bei Zwangsstörungen oder Sozialem Kompetenztraining – kommen auch Musiktherapie, Entspannungsverfahren, Bewegungstherapie und Ergotherapie zum Einsatz.
Eine Darstellung finden Sie auf dem Flyer:
Zudem ist das UKE das erste Zentrum in Deutschland, das offiziell für die Durchführung des sogenannten Bergen 4-Day-Treatments zertifiziert wurde – ein innovativer Therapieansatz bei Zwangsstörungen (Kompaktbehandlung für Zwangsstörungen: