Primärärztliche Versorgung von Geflüchteten
Jan Hendrik Oltrogge, Ingmar Schäfer, Dana Schlichting, Martin Jahnke, Anja Rakebrandt, Sigrid Boczor, Hans-Otto Wagner, Dagmar Lühmann, Martin Scherer
Hintergrund und Fragestellung
Von 11/2015 bis 07/2016 übernahm das Institut und die Poliklinik für Allgemeinmedizin am UKE die allgemeinmedizinische Versorgung der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung „Rugenbarg“ (ZEA) für Geflüchtete in einer ehemaligen Baumarkthalle mit über 1.500 Bewohnern. Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner führten mit zugeschalteten Videodolmetschern eine primärärztliche Sprechstunde durch. Sämtliche Konsultationen wurden vollständig in einer Datenbank dokumentiert und standen der hier vorliegenden Auswertung pseudonymisiert zur Verfügung.
Fragestellung: Wie gestaltet sich die primärärztliche Versorgung von Geflüchteten einer Zentralen Erstaufnahme?
Methodik
Vom 04.11.2015 bis zur Schließung der ZEA am 21.07.2016 (261 Tage) wurden 5.545 Konsultationen von 1.467 Patientinnen und Patienten pseudonymisiert und auf Basis der „International Classification of Primary Care, second edition“ ICPC-2) in Beratungsanlässe, Diagnosen und ärztliche Prozeduren kodiert. Eine repräsentative Stichprobe von 35% (2159 Konsultationen) wurde auf Basis der „International Classification of Primary Care, second edition“ (ICPC-2) in Beratungsanlässe, Diagnosen und ärztliche Prozeduren kodiert. Außerdem wurden aus der konsultationsbasierten Datenbank insgesamt 4.006 „Episodes of Care“ gebildet, in denen wiederkehrende Beratungsanlässe längsschnittlich zusammengefasst werden und so der Behandlungsverlauf der einzelnen Gesundheitsprobleme sichtbar wird. Die retrospektive Auswertung des Datensatzes beinhaltete deskriptive Statistiken und bivariate Analysen (Chi-Quadrat-Tests), verzerrungsadjustierte logistische Firth-Regressionen und Cox Proportional Hazard Regressionsmodelle.
VorläufigeErgebnisse der Stichprobenauswertung und weiteres Vorgehen
•62.8% der Patientinnen und Patienten waren männlichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter lag bei 23 Jahren. 33,7% der Patientinnen und Patienten waren minderjährig.
•Am häufigsten kamen Patientinnen und Patienten aus dem mittleren Osten (v.a. Afghanistan) oder dem nahen Osten bzw. Nordafrika (v.a. Syrien, Irak oder Iran).
•Die häufigsten Diagnosen waren Infekte der oberen Atemwege, Zahnprobleme und akute Tonsillitis.
•84,5% der Gesundheitsprobleme konnten ohne Weiterleitung an Gebietsfachärztinnen oder -fachärzte oder Krankenhäuser behandelt werden.
•19,8% der Patientinnen und Patienten hatten mindestens ein Gesundheitsproblem, das eine kontinuierliche Behandlung von 28 Tagen oder mehr forderte.
Die weitere Auswertung beschäftigt sich mit Unterschieden in den Gesundheitsproblemen zwischen minderjährigen und erwachsenen Geflüchteten sowie Prädiktoren für den Bedarf an kontinuierlicher Behandlung für die Weiterleitung an Gebietsfachärztinnen und -fachärzte und Krankenhäuser.
Veröffentlichungen
Laufzeit: seit 2017
Ansprechpartner: Jan Hendrik Oltrogge