Wenn das Bewusstsein schwindet
Die fremde Umgebung einer Klinik stellt für Patienten mit demenziellen Erkrankungen eine besondere Herausforderung dar. Inge Wittrock erkrankte vor zehn Jahren an Demenz. Ihr Ehemann Martin steht ihr zur Seite – auch bei ihren vielen Klinikaufenthalten.
Nach der Diagnose einer Mischform von vaskulärer Demenz und Alzheimer, die bei seiner Frau in der Spezialsprechstunde für Gedächtnisstörungen im UKE gestellt worden war, übernahm Martin Wittrock mehr und mehr die Organisation des Alltags seiner Frau Inge. Doch bei einem Spaziergang passierte es: Inge Wittrock stolperte über einen Stein, fiel, verletzte sich an der Stirn und brach sich beide Arme. Das Warten in der Zentralen Notaufnahme des UKE war für Inge Wittrock eine Tortur. Häufig verlor sie die Geduld und wollte einfach weggehen.
Martin Wittrock denkt praktisch, sucht bei Problemen nach Lösungen. Dass akute Fälle zuerst behandelt werden, ist für ihn selbstverständlich. „Natürlich gehen Schwerverletzte vor. Aber ich denke, man sollte auch Patientinnen und Patienten mit Demenz in der Dringlichkeit weiter oben einstufen. Sie haben ihr Zeitgefühl verloren, langes Warten bringt sie in eine psychische Ausnahmesituation.“
Pflegekräfte zu Demenz-Mentoren weiterbilden
„Klinikabläufe sind generell noch nicht optimal auf Patienten mit kognitiven Einschränkungen eingestellt“, sagt Melanie Feige, UKE-Pflegeexpertin für Menschen mit Demenz. Bei einem stationären Aufenthalt im UKE würde nach Möglichkeit Angehörigen, die dies wünschen, ein Rooming-in ermöglicht, bei dem sie sich mit in die Klinik aufnehmen lassen könnten. „Wichtig ist auch, dass Pflegekräfte und Ärzte wissen, wie sie mit Patienten mit kognitiven Einschränkungen umgehen können“, betont Melanie Feige. Sie hat ein spezielles Weiterbildungsprogramm entwickelt, bei dem Pflegekräfte zu Demenz-Mentoren ausgebildet werden. Die achttägige Schulung, die sich über mehrere Monate verteilt, vermittelt etwa Hintergrundwissen über die Auswirkungen von Demenz und Möglichkeiten des Umgangs mit betroffenen Patienten. Auch Angehörige berichten hier von ihren Erfahrungen.
Saskia Wagner ist eine der Pflegerinnen, die sich zur Demenz-Mentorin fortgebildet hat. Sie arbeitet im Pflege-Pool des UKE und ist auf verschiedenen Stationen eingesetzt. „Die Schulung hat mir an vielen Stellen die Augen geöffnet“, sagt sie. Eine zentrale Erkenntnis für sie war, dass es den älteren Patienten nichts nützt, wenn man versucht, ihre Perspektive geradezurücken. „Menschen mit Demenz wollen in ihrer Realität wahrgenommen werden – und sind nicht in der Lage, mögliche Denkfehler zu korrigieren“, weiß sie jetzt.
Stimmung der Patienten ernst nehmen
Die Stimmung der Patienten ernst zu nehmen, ihre Sicht auf die Welt zu bestätigen und um die Ecke zu denken, was sie beruhigen könnte, könne schon viel bewirken. „Manchmal essen Patienten mit Demenz nichts, weil sie Angst haben, dass alles sehr teuer für sie werden könnte“, berichtet Wagner. „Dann stelle ich ein Schild mit dem Hinweis ‚Essen und Trinken umsonst‘ auf.“ Ebenfalls hilfreich: Auf vielen Stationen stehen Demenzkisten mit Utensilien zur Beschäftigung der teilweise unruhigen Patienten; außerdem gibt es seit einigen Monaten Musik speziell für Demenzerkrankte auf den Patiententerminals.
Um Erkrankten und Angehörigen bei den Herausforderungen durch demenzielle Erkrankungen zur Seite zu stehen, bietet die Sozial- und Pflegeberatung des UKE (
Manchmal essen Patienten nichts, weil sie Angst haben, dass alles sehr teuer für sie werden könnte.
Saskia Wagner,
Gesundheits- und Krankenpflegerin
Auch Martin Wittrock tauscht sich regelmäßig in einer Angehörigengruppe aus. Die Gespräche helfen ihm, mit der veränderten Lebenssituation klarzukommen. Seine Frau, die inzwischen in einem Pflegeheim lebt, besucht und begleitet er täglich. Oft geht’s im Rollstuhl an die frische Luft. Ihre Jacken und Hosen hat er so vom Schneider umarbeiten lassen, dass diese ein leichteres und schmerzarmes An- und Ausziehen ermöglichen. „In vielen Situationen lässt sich das Leben der Betroffenen verbessern“, sagt er. „Wir sollten viel mehr Ideen entwickeln und diese dann auch umsetzen.“
Autorin: Katja Strube
Fotos: Ronald Frommann