„Wenn es darauf ankommt, habe ich Glück im Leben“
Der 48-jährige Dirk Rüpke mag Fahrten ins Ungewisse. Während der Reisen mit seiner
Familie in den USA, auf schnurgeraden Landstraßen durch flirrende Wüsten, genießt er
das schwerelose Gefühl, unterwegs zu sein. Als er plötzlich an einem bösartigen Lymphom erkrankt, legt sein Leben eine Vollbremsung ein.
März 2020: Die erste Welle des neuartigen Corona-Virus schwappt nach Europa. Dirk Rüpke, Sport- und Englischlehrer an einer Stadtteilschule in Harburg, fährt gemeinsam mit seiner Frau Almut sowie den beiden 13- und 14-jährigen Kindern Ski im österreichischen Vorarlberg – ein Corona-Hotspot, wie sich später herausstellt. Doch niemand von ihnen steckt sich mit dem Virus an. „Ich hatte immer schon Glück im Leben – gerade wenn es drauf ankommt“, sagt Dirk Rüpke.
Einige Wochen später treten schwere Krankheitssymptome bei ihm auf – Fieber, starke Schmerzen, Gewebeentzündungen. „Die Ärzte vermuteten zunächst eine Corona-Infektion“, erzählt Dirk Rüpke. In den drei Wochen, die er während der Erkrankung in einer Klinik nahe seines Wohnorts verbringt, bleibt die Diagnose unklar. Nach Gabe eines Reserve-Antibiotikums klingen die Symptome ab und die Entzündungswerte normalisieren sich. Die geplante Reise nach Florida muss dennoch ausfallen, wegen der Corona-Reisebeschränkungen. Dirk Rüpke erholt sich auf Föhr, genießt die Weite des Meeres, den Wind. Wieder gesund. Denkt er.
Im August nimmt er motiviert den Unterricht wieder auf. Endlich geht es weiter! Bis zu einem Freitag im September. Allgemeines Unwohlsein befällt ihn, starke Bauchschmerzen, wieder Fieber und extremes Schwitzen. Wieder wird ein Corona-Test durchgeführt, wieder ist das Ergebnis negativ. Die Klinik, in der er bereits zuvor war, nimmt ihn ein weiteres Mal auf, checkt ihn zwei Wochen lang durch. Als die Symptome sich verschlimmern, wird Dirk Rüpke ins UKE verlegt. Umfangreiche Untersuchungen bestätigen den Verdacht auf eine Autoimmunerkrankung nicht. Trotz starker Medikamente geht es ihm immer schlechter. Schließlich bringt eine Gewebeprobe die Ursache seiner Symptome ans Licht: Er ist an einem bösartigen Lymphom erkrankt. Dirk und Almut Rüpke sind über die Diagnose zutiefst erschüttert, denn diese kann den nahen, sehr nahen Tod bedeuten.
Die Chemotherapie kommt in letzter Sekunde
„Es ist Krebs. Und es ist behandelbar.“ Die Sätze der Ärztin haben die beiden noch deutlich im Gedächtnis. Die Erkrankung ist sehr weit fortgeschritten, „auf einer Skala von I bis IV war ich eine IVb“, erklärt Dirk Rüpke, „schlechter geht’s nicht.“ An viel mehr danach erinnert er sich nicht. Die Chemotherapie sei in letzter, in allerletzter Sekunde gekommen, sagt Almut Rüpke.
„Dann sagen Sie jetzt mal Tschüss zu Ihrem Mann.“ Diese Worte einer Pflegerin haben sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, es ging um die Besuchsbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie. „Es war das letzte Mal für lange Zeit, dass ich meinen Mann gesehen habe.“ Almut Rüpke treten Tränen in die Augen, wenn sie an die langen Wochen und Monate denkt, in denen unklar war, ob die Chemotherapie anschlägt, ob sie ihren Mann bei Bewusstsein wiedersieht, ob er überleben wird. Neben der Angst um ihren Mann kümmert sie sich um die beiden Kinder, die coronabedingt fast durchgängig im Homeschooling sind, um den Haushalt und den eigenen Beruf. Irgendwie funktioniert sie wie auf Autopilot. „Es ist mir ein Rätsel, wie meine Frau das alles bewältigt hat“, sagt Dirk Rüpke.
Nach einigen Wochen geht es ihrem Mann besser. „Ich weiß noch genau, wie ich das erste Mal wieder eine Handynachricht von ihm bekam“, erzählt Almut Rüpke. „Eigentlich etwas ganz Banales. Aber so, wie es ihm zuvor ging, war eine Handynachricht ganz und gar nicht normal.“ Trotz der Erleichterung – die Nebenwirkungen der Chemotherapie (Haarausfall, Wassereinlagerungen, Hautentzündungen) machen dem Patienten zu schaffen.
„Ich mache es gut, so wie ich es mache“
Gemeinsam mit einer Psychoonkologin entwickelt Dirk Rüpke während seines Klinikaufenthaltes einen Leitspruch, der ihm durch die schwere Zeit hilft: „Ich mache es gut, so wie ich es mache“, steht darauf. „Das bedeutet, dass es mein Weg ist, den ich gehe, und er wird zum Erfolg führen“, erklärt er. Während der kurzen Phasen zwischen den Chemotherapiezyklen, die er zu Hause verbringt, nimmt er den Zettel mit. „Es bleibt mein Wahlspruch, er gibt mir Mut.“
Vor einigen Wochen hat Dirk Rüpke seine Krebstherapie mit einer Transplantation seiner eigenen Stammzellen abgeschlossen. Am Tag des Interviews für diesen Bericht, das aufgrund der Infektionsgefahr per Videokonferenz geführt wird, hat er seine erste Nachuntersuchung gerade hinter sich: Keine einzige Krebszelle war mehr auszumachen auf dem hochsensiblen Röntgenbild. Langsam erholt er sich, das Haus verlässt er nun wieder für Spaziergänge in die nahe gelegene Fischbeker Heide. „Die Dankbarkeit, die wir gegenüber den Ärzt:innen und dem Pflegepersonal des UKE empfinden, lässt sich nicht mit Worten ausdrücken“, sagt das Paar.
Dirk Rüpke wünscht sich, zu seinem normalen Leben zurückkehren zu können, Zeit mit der Familie zu verbringen, wieder zu unterrichten, zu reisen. Pläne hat er bereits geschmiedet. Er möchte durch die Wüste Nevadas fahren und durch den urwaldähnlichen Olympic Nationalpark. Am besten daran gefällt ihm das Unterwegssein: „Auch wenn es an einem Ort schön ist, verweilt man nicht lange.“ Was vor ihm liegt? Ungewiss. Aber er weiß: Es geht immer weiter.